Ich bin so stark, so stark, so stark, aber ich trau mich nicht, ich trau mich nicht...

Mai 2013

Seit einem Monat hab ich kein Koffein mehr mit meinem Kreislauf verlinkt. Ich braue mir einen leuchtenden süßen Grüntee und schon nach wenigen Minuten quillt mein Herz in eine verheißungsübervolle Ausgangsposition, bis zum Anschlag eingerastet und auf Stunk aus. Das Licht wird intensiver, der Blick schummrig, ich nehme ganz genau den Straßenlärm wahr und vorbeilaufende Menschen, ihr echtes Gerede vermischt mit dem was ich phantasiere - also es ist völlig egal was irgendjemand sagt. Ich habe meinem Tag gerade zwölf Extrastunden aufgemacht, in denen meine Nutzlosigkeit meine Schultern verspannen und meinen Rücken krümmen kann, wie ein bunter Schulranzen mich auf den unsichtbaren Boden der Tatsachen drücken will, ausgestattet mit Reflektoren damit mich nicht ein Auto erwischt. Eingesperrt in einer kalten, dunklen, sinnlosen Freiheit kann ich alles tun in meiner Wohnung, in der Stadt, diesem Leben, aber nichts kommt in Frage. Das harte, quadratische Gefühl, die nächsten 80 Jahre so besinnungslos herumzutranen bis ich sterbe. Den Tran auf die Spitze treiben und mich mit ihr durchbohren.

Ich will immer das, was ich nicht haben kann, mir scheint dafür ist ein Geschwür verantwortlich, das sich in meinem Gehirn dafür rächt, dass ich als Kind nie die Schule angezündet habe. Und jetzt, mit meinem übermütigen Herzschlag. Als hätte ich noch Kraft, eine Bank zu überfallen, wo ich vielleicht nichtmal meine Küche aufräumen kann

Eine Bank überfallen - ganz leichtfüßig, mit Herz und Stil und schwarzen Augen. Zur Not auch in der Lage sein, einem Wachmann ein Loch in die Stirn zu schieben. Es ist nicht der Mensch, den man tötet, sondern nur sein Amt, seine Funktion. Wer eine Uniform trägt ist kein Mensch. Und wer so tut, als würde er eine tragen, genau so.

Ein Sauerstoff-Kraken knetet mein Gehirn durch und pure Gesundheit durchströmt meinen Körper. Ich werde niemals krank werden.

Warum können jetzt nicht Freunde da sein, denen es genau so geht? Die einfach irgendeine Spur in der Welt hinterlassen wollen, einfach weil es Spaß macht. Keine andere Rechtfertigung für eine Handlung gelten lassen als die Lust an der Sache. Ich hätte gern eine riesige Motorsäge, mit der ich die Straßen kaputt machen kann.

Jedes Lied ist wie eine Frage an mich und idealisiert innere Zustände. Darauf sollte man nicht viel geben. Da kommen Leute durchs Treppenhaus gerammelt. Sie denken bestimmt immer an mich, wenn sie vorbeigehen. „Der macht nichts aus seinem Leben, der liegt uns auf der Tasche, so ein sinnloses Leben.“ All meine Probleme ergeben sich eigentlich nur aus der Tatsache, dass alle die mir etwas bedeuten in Deutschland verstreut sind und meine Heimatstadt immer mehr ausdünnt. In meinen Träumen sind all meine Freunde in der Nähe. Ich behaupte, dass es nichts zu klagen oder zu idealisieren gibt. Niemals aufhören zu zweifeln. Immer scheu sein. Niemals zeigen, was man wirklich will. Keine Fehler bereuen. Alles und jeder will auf seine Kosten kommen. Auch die Leertaste an meinem Laptop. Auch meine Milz. Auch der Teppich auf dem Balkon. Auch mein selbstmörderische Lust auf dem Dach. Alles will existieren, wirken und die absolute Kontrolle haben. Allein weil es existiert, will es die absolute Kontrolle. Der Teppich auf meinem Balkon will die Welt an sich reißen. Die Lust mich in den Tod fallen zu lassen will die Welt an sich reißen und meine Lippen wollen jemanden küssen und jemand will, dass ich cool bleibe und jegliche Sentimentalität mit der Käsereibe meiner Gleichgültigkeit in ihre Schranken weise.

Der Grüne Tee macht die Gegenwart zu einem Gelee, in das ich mich eindrücke. Ich bohre mit meiner Existenz ein Loch ins Hier und Jetzt und vertiefe meine Vergangenheit und Zukunft darin. Ein seltsames, namenloses Glücksgefühl, sehr viel primärer als meine Worte und Selbstzweifel. Gedankenloser Tatendrang staucht meinen ganzen Körper zusammen. Ich habe Lust zu schreien, aber niemand würde verstehen, warum und so springt die Lust wie ein ängstlicher Hund unter den Tisch zurück und fühlt sich wie die Ursache baldiger Bauchschmerzen an.

Ein riesiges schwarzes Flugzeug zerschlitzt den blauen Himmel über der Stadt. Wie ein Drache, der von einem Menschen geritten wird. Es ist gut, dass ich keine Lust habe, rauszugehen. Gerade jetzt nicht, wo jedes Autohupen und jedes fiese Gesicht mich zusammenzucken ließe.

Im Koffein-Rausch bohrt man sich in die flimmernde Gegenwart hinein und wird unempfänglich für das düstere Brummen der Zukunft.

So viele Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind kaputt. Hysterisch, nihilistisch, deprimiert, in irgendwas festgefahren, schlechte Kindheit, schlechte Perspektiven, reden immer irgendwie das gleiche, niemand hat wirklich was Richtiges vor. Alle sind so schrecklich bescheiden und ausgeglichen und friedlich. Ich merke, wie ich jetzt, etwa zwei Stunden nachdem ich mit dem Tee fertig bin, immer fanatischer, ungerechter, bösartiger, tyrannischer, liebloser werde. Meine Abwehrkräfte werden immer saftiger - je mehr Saft, desto mehr Selbstverständlichkeit. Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf die Frage antworten soll, warum ich so und so bin. Meine Umgebung ist mir nicht mehr so vertraut wie noch vor einigen Stunden. Alles hier in meinem Zimmer sagt mir: „Fass mich nicht an, verschwinde von hier.“ Rational kann ich gegensteuern und mir sagen, dass die Dinge keine Seele und kein Bewusstsein und keinen Willen haben, der Grüne Tee macht es mir unmöglich, mich zwischen meinen messerscharfen Gefühle und meiner Presslufthammer-Intelligenz zu entscheiden, es scheint, dass ich bis zum Ende meines Lebens mit dieser Ungewissheit leben muss, dass diese Ungewissheit der einzige Grund sein wird, warum ich Falten und grauen Haare bekommen werde.

Ich sitze immer noch hier und mein Herz pocht und ist enttäuscht, dass ich mich nicht bewege. Ich hocke auf meinem Sessel und hacke diese Worte in die Textdatei. Meine Vorstellung, gleich einen Anfall zu bekommen, will den Mond trudeln lassen.

Ich werde mir niemals einen Finger abschneiden.

Mein Herz ist ein magnetischer Kristall und bringt das Magnetfeld der Erde durcheinander.