Unter dem Joch der Freiheit

Ich lag auf meinem Bett im Kornfeld eines Traums und plötzlich krachte wie ein Amboss der Gedanke, dass die Sonne extrem laut ist, wir sie aber nicht hören können, in mein Gehirn und stornierte die Gravitationskraft der Erde und ich fiel in den Himmel. Ich wusste, als ich einen Meter über der Erde war, dass ich nie wieder herunterkommen würde. Ich bin ein für alle mal in den Himmel gefallen, tief in mein Gehirn hinein. Die Sonne ist laut. Sie brodelt und schreit. Aber niemand hört sie. Es gibt keine Luft, die die Schallwellen in ein Ohr tragen könnte. Ein schwarzes, kaltes Schwindelgefühl hatte mein Gehirn fest in der Klemme, in der Zange, in der Mühle, in der Zwickmühle, es zwickmühlte mein ganzes Bewusstsein so als hätte es mein ganzes Leben darauf gewartet, die Verdauungssäfte meines Gehirns wollten das Gehirn selbst zersetzen. Die Luft wurde immer dünner und dünner und gerade, als ich wusste, dass ich gleich ersticken werde, erschien neben mir ein Seil. Ich fasste es und spürte, dass es mit der Erde verbunden war. Ich wusste, dass ich nicht die Kraft hatte, mich mehrere Kilometer auf die Erde runterzuziehen - und auch wollte ich nicht loslassen. Der schwarze, kalte, unendliche Weltraum saugte immer weiter an meinem Gehirn wie ein gieriges, blindes Kind. Mit einem Mal spürte ich, dass ich anfangen muss, meine Küche und mein Bad sauber zu machen und ich bin aufgewacht. Meinem Herz war speiübel. Und für einen Moment kam mir die Tatsache, dass ich nicht in den Weltraum stürze, unwirklich, traumhaft, falsch vor. - Ich habe die Drohung verstanden. Aber ich glaube, ich bin schon zu abgestumpft, um genügend Angst zu entwickeln.

Ich bin sehr kalt und geradlinig und ernst und trostlos und gleichgültig. Ist dies der absolute Grundzustand des Menschen? Vielleicht ist jede Art von Liebe, Hass, Ekel, Euphorie, Interesse, Hoffnung, Anspannung, Wahnsinn nur eine Maske, um bewusst oder unbewusst bestimmte Erwartungen von irgendwem zu erfüllen. Jeder hat Angst vor dem Nichts und vielleicht ist alles was wir denken und fühlen und tun nur eine absurde Flucht, ein kindliches Zurück- schaudern vor dem unausweichlichen, immer drohenden, allmächtigen Nichts, vielleicht ist alles, was uns auszeichnet, was uns gewiss und wertvoll erscheint, nur eine Lüge die wir inszenieren aus Angst vor dem Nichts, so wie wir Gott erfunden haben, um uns nicht dem Universum ausgeliefert fühlen zu müssen. Mein Gesicht ist trocken und weich und kreidebleich. Ich habe Lust, jemanden vollzukotzen. Die Gewissheit, dass ich in der nächsten Zeit niemanden vollkotzen werde, versetzt mich in den Rang eines Leprakranken.

Etwas in mir will meine Fähigkeit zu lieben zerstören. Etwas in mir bringt mein Gehirn dazu, mich abartig und lächerlich zu sehen und zu fühlen. Etwas in mir zersetzt die Überzeugung, dass ich mich aus meiner Einsamkeit herausbewegen kann. - Ich hoffe, ich habe morgen noch Lust, den ganzen Tag draußen herumzulaufen. Ich muss meinem Leben eine Ohrfeige verpassen, sonst tut es jemand anderes in mir (mit anderen Absichten). - Ich bin so müde, auf die Worte zu warten, die du niemals sagen wirst. So müde auf diese Berührung zu warten, mit der du zufällig, ungewollt, versehentlich mein Herz in einen schäumenden Kamikaze-Flieger verwandelt hast. Ich bin zu müde, um mich für all meine lächerlichen Metaphern zu schämen. Und bald bin ich müde genug, um nicht mehr zu befürchten, dass du mich für einen aufdringlich-selbstbewussten, verkünstelten Poetry-Klatschaffen hältst. - Meine Liebe bringt mich um. Ich bin in die Enge getrieben. Mein Schreiben ist ein allerletztes Gezappel.

Ich habe grade einen Text gelesen, den ich an mich selbst geschrieben habe. Ich hatte fast eine Panikattacke bekommen. Da gibt es diesen Fremden, der zu mir redet und ich weiß, dass ich dieser Fremde bin, der das geschrieben hat. Es gibt jemanden außerhalb von mir, der ich bin - und auch einen, der ich sein werde. Unzählbar viele. Alles was ich war und sein werde kommt mir gerade so real und gegenwärtig vor, als säßen unendlich viele Versionen von mir in diesem Zimmer und zerrten an mir und hofften zu ihrem Recht zu kommen. Keiner von denen bin ich. Sie geben mir sogar das Gefühl, nicht der zu sein, der jetzt gerade diese Sätze schreibt. Die Idee, ein Ich zu haben ist das gleiche wie das Gefühl, ein Ich zu haben - und mein Ich fühlt sich an wie eine bösartige Wucherung, ein schwarzes, klebriges Geschwür, das wachsen will auf Kosten meiner körperlichen Substanz. - Und immer wieder sage ich mir: „Ich bin nicht meine Augen, die sehen. Ich bin nicht meine Hände, die die Buchstaben auf der Tastatur drücken. Ich bin nicht meine Angst, wahnsinnig zu werden. Ich bin nicht mein Gesicht, ich bin nicht die Wirkungen meines Gesichts. Ich bin die Gesamtheit meiner Organe, ich bin nichts isoliertes, ich bin nichts was etwas wirksam wollen kann. Es lohnt sich nicht über das eigene Ich nachzudenken. Ich komme auch ohne die Idee eines Ichs aus. Ich brauche mein Ich nicht. Ich brauche mich nicht. Und: mein Körper braucht sich, um sich zu verbrauchen.“ - Ich habe unheimlich viel Energie nötig, um das auszuhalten, was mich bald ereilen wird. Ich muss sehr sparsam mit meinen Kräften umgehen.

Wenn ich ganz deprimiert oder ganz euphorisch bin, dann ist mir völlig egal, ob ich das schaffe, was ich mir vorgenommen habe und ob das, was ich hoffe, in Erfüllung geht. Meine extremen Zustände haben immer eine befreiende Wirkung auf mich, die noch ein bisschen länger als die Zustände selbst anhält - und auch, wenn ich diese befreiende Wirkung nicht mehr spüre, hat sie doch ihre Spuren in mir hinterlassen. Ab und an überlagert sich meine Depression mit meiner Euphorie. Ich bin so glücklich, so übermütig, dass ich nur noch nihilistisch sein kann. Unfähig irgendetwas klar zu bekennen, absolut uninteressiert an Wahrheit, Sicherheit und Zuversicht, verschwende ich mein schwarzes, ätzendes Glück und werde immer heißer und kälter zugleich. Ich bin total niedergedrückt und lustlos und verzweifelt - so sehr, dass es mir als der einzig wahre Zustand vorkommt, und so übermannt mich das unendliche Glück eines Ausgestoßenen, der in einer christlichen Gemeine aufgenommen wird. In solchen ambivalenten Zuständen habe ich die Vision davon, einen fürchterlich größenwahnsinnigen, surrealistischen, abartigen Plan zu schmieden und daran mit Pauken und Trompeten zu scheitern. Ich möchte mich dann total idiotisch und pervers in diesen Plan hineinsteigern, nur um mit einem noch idiotischeren und perverseren Stolz zu genießen, wie alles danebengeht und der ganze Wahnsinn über mir zusammenkracht. Und dann erhebt sich ein warmer, herzlich-dummer Gospel aus den Trümmern und ich lache mich einfach nur noch tot - und der Nihilismus wie die Euphorie verlässt einem zweiköpfigen Dämon gleich meinen Körper. Und dann gibt es eine neue Atomkatastrophe, die den Planeten endgültig in Stücke reißt. - Abspann (unterlegt mit „Come to Jesus“ von Mahalia Jackson).

Ich lass meine Wohnung vermüllen, ich hör Noise-Musik aus den 1970/80ern, ich wasch mich nicht, ich verdunkle meine Fenster, ich geh nicht mehr raus, ich will niemanden sehen . . um von mir loszukommen. Ich will nicht mehr an meinem Selbst kleben und den immergleichen Gedanken und Gefühlen und Ängsten und Hoff- nungen. Ich will keinen meiner Freunde mehr sehen - sie sollen endlich aufhören, etwas für mich zu hoffen, sie sollen mich einfach aufgeben. Ich will nichts mehr wissen, träumen oder essen. Etwas glüht in mir, es wird immer intensiver, viele Trottel würden an meiner Stelle glauben, wahnsinnig zu werden - ich weiß es besser: ich streife nur eine Haut ab. Ich bin so ungeduldig. Ich muss noch mehr Müll ansammeln, meine ganze Einrichtung kaputt machen, die Musik noch lauter machen, richtig verkeimen, verstinken, verfaulen.

Die Tatsache, dass ich nicht weiß, warum ich nicht schon längst wahnsinnig geworden bin, macht es mir unmöglich, mich einfach in die Sonne zu legen und die Zeit verstreichen zu lassen. Ich habe das Gefühl, ständig auf der Hut sein zu müssen. Jeden Moment kann es passieren. Ich muss mich ablenken. Ich muss ständig in Bewegung bleiben. Wenn ich still sitze und mich ganz auf mich konzentriere und mir bewusst wird, dass alles was ich bin von meinem instabilen Gehirn ausgeht, werde ich wahnsinnig. Vielleicht werde ich diesen Satz gar nicht zu Ende schreiben können, vielleicht raste ich einfach gleich komplett aus. - Nein. Dies war auch nicht der Moment. Ich habe keine Erklärung dafür, warum es nicht jetzt passiert ist. Jeder Moment, an dem ich nicht wahnsinnig werde, macht mein Gehirn instabiler, weicher, heißer. So wenig ich daran zweifeln kann, dass etwas existiert, so wenig kann ich glauben, dass ich nicht bald wahnsinnig werde. Das Wort „wahnsinnig“ ist mit der Ahnung „wahnsinnig“ verbunden, und die Ahnung brummt hinter allem, was ich denke und fühle. Irgendwas hat seine Augen auf mich gerichtet, irgendwas hat alles im Griff. Ich werde für ein Leben angeklagt, dass ich nicht geführt habe. Ich werde absichtlich verwechselt.

Ich stehe vorm Spiegel und schneide Grimassen. Ich erschrecke, was für Gesichtsausdrücke ich machen kann. Was? Das bin ich? So kann ich gucken? Aber so fühle ich mich gar nicht! Es gibt kein Gesichtsausdruck der etwas von meinen Gefühlen verraten kann. Ein ekelhafter, spießbürgerlicher Ernst/Frust ist in mein riesiges, kantiges Gesicht gespannt, ich erkenne mich nicht wieder! Ich sehe wie ein anderer Mensch aus. Wie kann das sein? Ich habe Angst, dass mein Selbstbild ein so absurd irreales Ideal ist, dass es einer religiösen Erfahrung gleichkäme, würde ich mich so sehen, wie ich wirklich aussehe. Ich habe keinen objektiven Blick. Ich habe Angst, dass mein Gesicht die Kontrolle über meine Gedanken übernimmt. - Ich zwinge mir ein dummes Grinsen auf. Plötzlich erkenne ich, dass ich sehr schöne, herzliche Augen habe und alles ist anders. Nun ist es mir unmöglich, wieder so eine hässliche Fratze zu schneiden. Ich küsse mein Spiegelbild und ich hab Lust zu masturbieren, aber dann stellt sich die Ungewissheit in den Weg, welches meiner vielen miteinander unvereinbaren Gesichter meine Freunde in Erinnerung behalten würden, wenn ich für immer in dem schwarzen Loch verschwinden würde, das ganz in der Nähe auf mich wartet.

„Since you gone / deep inside it hurts / i’m just another sad guest on this dark earth”. Tom Waits ist ein Ass! Ich will ihn mir zum Vorbild nehmen und ganz einfache Worte in die Welt hacken. Stampfen und Grölen. Und alles, was ich peinliches getan habe, hinnehmen. Ja! Ich hab dir im Suff tausendmal gesagt, dass ich dich liebe und dir war es egal. Ich habe dich so entsetzlich vollgekotzt und du hast am nächsten Tag einfach gesagt, dass dir das auch schonmal passiert ist. Ich habe gedacht, dieser Hipster da wäre dein Freund und du hast gesagt: „Nein, wir sind nicht zusammen, aber selbst wenn!“ - An dieses schwarze „Aber selbst wenn“ bin ich gekreuzigt und alle Leute rings um mich herum langweilen sich nur und raten mir zu Alkohol. Ich darf mich nicht in meinem Liebeskummer verlieren, sonst werde ich noch unsterblich.

Er liebt mich nicht und deshalb wollte ich mein Gehirn und mein Herz im Whiskey abtöten, aber letztlich hab ich mir nur den Magen verdorben. Ich distanziere mich von diesem schrecklichen Elend, indem ich es aufschreibe. Meine Worte sind schuld daran, dass ich noch nicht wahnsinnig geworden bin. Ich habe nicht das geringste Gefühl von Dankbarkeit für sie übrig.

Gott hat den Menschen die Fähigkeit zu Kotzen gegeben, damit sie an ihrer Kotze ersticken und so sterben können, wie sie es verdient haben. Leider folgen viel zu viele den Verführungen des Teufels und beugen sich nach vorn und übergeben sich in eine Kloschüssel oder auf den Fußboden. Und auch ich trage dieses Kreuz. “Das Leben lohnt sich wirklich nicht”, küsst mich ein Engel in den Halbschlaf, aber ein kleines süßes Teufelchen grinst mich furchtbar sexy an und lässt mich schließlich glauben, dass es etwas besseres gibt als an seiner Kotze zu ersticken.

Beantworte einen Schicksalsschlag mit einem weiteren Schicksalsschlag. Hau einfach zurück. Wenn dir jemand Herzschmerz verursacht, ficke mit einer ekelhaften Frau und hol dir Aids. Wenn dir jemand sagt, du siehst scheiße aus, nimm ein Messer und schneide dir in die Stirn. Wenn du deinen Job verlierst, dann töte deinen Hund. Wenn deine Mutter stirbt, töte deinen Vater. Wenn du im Krieg ein Auge verlierst, schneide dir dein anderes Auge raus. - Diese Logik kennt nur der, der weiß was Liebe ist, aber nicht, warum es Bausparverträge gibt.

Erst wenn man seiner Wahrnehmung nicht mehr vertraut und vollgepumpt mit düsterer Euphorie die Nacht über wach bleibt und nichts anders tut als in der Stadt herumzulaufen, ohne klare Gedanken, ohne Hoffnungen, aufgekratzt von der bittersten Skepsis gegenüber allem und jedem, alles annehmend, nichts wissend, nichts genügend liebend oder verachtend, erst dann ist man einen wirklich entscheidenden Schritt im eigenen Selbstverständnis vorgerückt - und vorher sollte man gar nicht erst mit anderen Leuten reden. - Im tiefsten Inneren ist der Mensch ein wahnsinniges Raubtier, eingesperrt in einem surrealistischen Zirkus, gepeinigt von plumpen, vulgären Träumen. Für Einige ist es zu spät. Für Einige ist nie die richtige Zeit gekommen. Für Einige bleibt nur der Irrsinn oder der Freitod oder die Diskothek. - So wie wir Musik schätzen, die uns tief bewegt, uns erhebt, uns glücklich macht, obwohl wir sie nicht nachspielen können, so sollen wir auch die Wahnsinnigen schätzen und behandeln.

Ich gehöre nirgends dazu. Ich bin viel zu weit entfernt von allem, viel zu vorsichtig, schüchtern und unsicher, um einen Platz behaupten zu können; und doch fühle ich mich nicht individuell, ich bin weit davon entfernt, selbstbewusst und stolz zu sein. Zudem hat dieses Lebensgefühl keinerlei poetische Qualität für mich. Meine Abgeschiedenheit ist einfach eine läppische, unästhetische, kalte, trockene Tatsache, die selbst in ihrer Härte und Aggressivität weder vollkommen scheint noch sonderlich dazu reizt, irgendein Wort darüber zu verlieren. Alles ist so trocken, die Trockenheit macht mich hässlich und nervös, meine Nervosität lässt alles, alles, alles so hinfällig erscheinen. - - Vielleicht werden sich meine Abseitsmanöver der letzten Jahre als Glücksfall erweisen in Hinblick auf primäre und sekundäre Gehirnfunktionen, denn - und das ist letztlich der Trost, der mich bei Verstand hält - ich fühle mich absolut gesund: das heißt unsterblich. Je weiter ich mich entfernt fühle von Stolz, Selbst- bewusstsein und (daraus folgend) Strebsamkeit, desto realistischer erscheint mir der Gedanke, dass ich nicht in der Lage bin zu sterben.

Ich kann mich noch nicht zum Bösen bekennen - ich suche immer noch politische und psychologische Rechtfertigungen für meine Phantasien und Pläne. Ich sehe mich immer noch als Mitglied der Gesellschaft, als jemand der sich einbringen und etwas darstellen, ja vielleicht etwas verändern will. Ich bin noch nicht egoistisch, fanatisch, leidenschaftlich, heiß genug. Das reine Böse ist mir so fremd wie das reine Gute und die Idee, dass ich beides bin, frisst an meinen Nerven. Alles ist doch eine Frage der Kraft - wieviel habe ich? Wozu kann ich mich bekennen? So sehr ich die Ideale „gut“ und „böse“ intellektuell und emotional überwunden habe, so sehr scheint es mir, dass ich doch ohne diese Hüllen nicht auskomme. Mir fehlt ein Name, eine Idee für das, was ich bin. Es gibt nichts, woran ich mich festhalten kann, es gibt niemanden der einen gültigen und mir sympathischen Begriff von mir hat.

Ich muss mich vertiefen und verstärken - ich muss so weit weg von meinem Public Image wie möglich. Man müsste sich gut von sich distanzieren können, wenn man sich in eine Einseitigkeit reinsteigert je glühender, tiefer, heftiger, unmoralischer die Einseitigkeit, desto größer und stabiler und aggressiver kann die Distanz sein. - Gott weiß, mir fehlt noch die Fähigkeit fanatisch zu sein - zumindest fanatisch genug zu sein, um daraus ein Heil zu erfahren. - Ich muss neue, entspannte, ruhige Leute kennenlernen. In wesentlichen Dingen fühle ich mich absolut alleine. Vielleicht sollte ich systematisch meine Hoffnungen abschütteln. Hoffnung macht dumm und passiv.

Heute ist meine Angst davor, plötzlich nichts mehr zu denken oder zu sagen oder zu fühlen oder zu tun zu haben besonders zermürbend eine düstere Notwendigkeit zieht sich am Horizont zusammen oder es wird nichts passieren. Die Leere droht mir in jedem Moment - sie spürt dass ich ein leichtes Opfer bin - angesichts meines „Berufs“. - Außerdem habe ich eine neue Angst entdeckt: nämlich davor, in irgendeiner bizarren, willkürlichen Handlung mich zu verklemmen und nie wieder rauszukommen, z.B. irgendwo herumhämmern oder lallen oder tänzeln oder einfach nur starren - oder ich werfe mich vom Balkon, weil mein Gesicht so aussieht wie ich mich fühle oder sogar noch schlimmer. - Ich stopfe mir den Magen mit Müsli zu und warte, bis ich kacken muss. Ich kann mich mit meinem Verdauungssystem mehr identifizieren als mit meinen Augen.

So sehr ich auch manchmal den Wahnsinn verherrliche, wirklich wahnsinnig möchte ich nicht werden. Wenn ich schreibe, dass ich Angst davor habe, wahnsinnig zu werden, dann meine ich das ganz ernst. Ich gehöre nicht zu diesen Künstlern, die mit Wahnsinn und Verfall kokettieren, weil sie sensationelle Effekte erzielen wollen, aber da ist eine dunkle, schwere Wolke, die über der Stadt droht, die den Himmel und die Erde biegen und brechen will. Die Tatsache, dass ich darüber schreiben kann, schenkt mir die beruhigende Gewissheit, dass ich nicht wahnsinnig bin. Deshalb schreibe ich - um den Wahnsinn in Worte zu sperren und von mir abzuspalten. Wenn ich wirklich wahnsinnig werde, kann ich sicherlich nicht mehr schreiben, bin ich vielleicht nicht mehr ansprechbar, verliere mich für immer in einer Phantasiewelt, scheiße die ganze Wohnung zu, begehe Selbstmord oder töte meine liebsten Freunde. Man muss mir jetzt einfach mal glauben, dass ich das nicht will. Ich muss mir das glauben.

„Verliere allen Bezug und noch den Bezug zu deiner Bezugslosigkeit“, bat sie dich um ein weiteres Abenteuer. „Ich liebe es, neben dir in meinem Zimmer aufzuwachen, einen hässlichen Kater in der Fresse, Kotzepfützen, Brandflecken, blutige Füße, Kippen in Wein-Gläsern, naiver Klezmer im Radio, geborgen in der mütterlichen Gutmütigkeit einer gleichgültigen Stadt, die für jeden einen Platz hat, die alles verzeiht, die uns kalt macht vor meta- phyischen Bedrohungen. Ich will in die Straßenbahn scheißen, während du irgendjemanden zusammenschlägst, völlig ungewiss, was das alles für Folgen haben könnte. Ich will wieder das Entsetzen der Leute sehen, die unsere Bezuglosigkeit sehen, die absolut hilflos zusehen, wie ihr Gehirn nach Kategorien kramt.“ Wenn ich adäquat schreien könnte, würde ich es tun - den ganzen Tag, in der Öffentlichkeit, vor aller Welt. Wie reinigend, wie befreiend muss das wohl sein! Aber ich hab die Stimme nicht dafür - und das Gesicht auch nicht.

Ich sitze auf dem Balkon eines Freundes in Leipzig. Die Stadt ist so grau und uninteressant wie alle Städte. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, weil ich nicht weiß, wer ich bin, das heißt: ich weiß nicht, was ich kann, was zu mir passt und was von dem ich mag. Mir fehlt ein Lied, das mein Herz dominiert und mich stabilisiert. Mir fehlt es an Selbstverständlichkeiten. (Sehnsucht nach Erschöpfung - absolutes Aufgehen in die Grenzen des Körpers - Besinnung auf Wesentlichkeit.) Ich sehe oft so unbeteiligt, überfordert, bösartig skeptisch, genervt, lieblos aus. Ist das mein Grundzustand? Kann ich darauf etwas ganz anderes bauen? Ich sitze hier und schreibe. Ich bin nicht wirklich da, ich tu nur so. Mein Körper ist eine Maschine, die mich in ein Loch verwandelt. Ich bin in der Realität eingeklemmt und spüre, wie ich immer dümmer werde. Ich brauche einen Freund, der stärker und ruhiger ist als ich. Kunst und Sex und Familiengefühl. - Niemand passt zu mir, „I want the one I can't have and it's driving me mad, it's all over, all over my face“ (Morrissey). Meine Einsamkeit ist ein Krater und er dehnt sich immer weiter aus und alles fällt mir immer schwerer und zugleich wird alles vielleichter. Alles ist in der Schwebe. Wie geht es weiter? Cool bleiben durch lakonische Sparsamkeit. Nicht zu viel reden, nicht zu viel Mimik und Gestik. - Cool sein kostet aber viel Energie. Am Ende ist es immer nur ein „so tun als wäre ich cool“. Ich kann meine Nervosität und Unsicherheit nicht verbergen. Ich würde gern mein Gesicht schwarz malen und mir ein Loch im Hinterhof graben, um mich mir gegenüber auszudrücken. Ich leg mich im Kaufhaus auf die Rolltreppe, weil mir danach ist - und ich bin wirklich gleichgültig gegen Leute die denken könnten, ich pose oder opponiere krampfhaft oder unter Einfluss einer Substanz. Was die Anderen denken tut der Lust an der Sache keinerlei Abbruch. Die Unfähigkeit genau zu wissen, was die anderen denken - und die Gewissheit, dass ihre Gedanken und Gefühle über mich niemals eindeutig sind, euphorisieren mich. - Ich hasse mich dafür, dass ich mir einbilde, wichtige, interessante Dinge zu schreiben zu haben. Ich sehe meine Reflexion in der Balkontür. Es sieht aus, als wäre ich ein aufgesetzt-selbstbewusster, weicher, feiger, lauwarmer, milchiger Außenseiter, der sich nur weil er dem Irrtum unterliegt, ein interessanter Schriftsteller zu sein, noch nicht umgebracht hat. - Ich leide so sehr darunter, immer am falschen Ort bei den falschen Leuten zu sein. Ich bin so grob, so unsensibel nach außen hin: dies ist nur ein stumpfer, dummer, notwendiger Reflex, erzeugt von einem Zuviel an Zweifel, Schüchternheit, Angst, Distanz zu allem, eine sehr hysterische, elektrisch aufgeladene Hypersensibilität. - Ich muss mich beruhigen.

In einer Wohnung gegenüber meckert eine Frau seit 10 Minuten mit ihrem Sohn. Ihre Stimme ist so grässlich! So schrill und dumm und voll kleinbürgerlicher Graue-Mauer-Power. Ihre rosa Fotze schmatzt bestimmt epileptisch in ihrem Höschen. Ich will mich auf sie stürzen und würgen - vielleicht krieg ich dabei mal wieder einen Ständer. Spring vom Balkon, törichte Fut! Ich will sehen, wie du mit gebrochnem Genick im sonnigen Löwenzahn-Rasen liegst. Ich brauche ein morbides Erlebnis, von dem aus ich Karriere machen kann. Ich brauche einen Mythos. Spring, Fut, Spring spring spring Fut!

Ich bin an jenem unanständigen Ort meiner Selbst, an dem ich nur heiße Gleichgültigkeit gegenüber der Idee empfinde, dass etwas existiert und irgendwann nicht mehr existiert. Alles scheint mir so schrecklich langweilig. Ich kann mir nichts vorstellen, was von den kalten, infantilen Fittichen meiner Langeweile nicht zerdrückt werden könnte. Da zuckt noch die ein oder andere Lust in mir (z.B. die Lust zu masturbieren, die Lust etwas zu trinken, die Lust, eine witzigen Film anzusehen, die Lust in der Sonne zu liegen, die Lust laute Musik zu hören, die Lust mir einen Finger abzuhacken, die Lust irgendeinem Menschen ins Gesicht zu rotzen), aber keine Lust kann mich mehr überzeugen (=überwältigen), sie ist immer nur ein Grund mehr, gegen alles Partei zu ergreifen - nur eine Lust auf etwas kann ja über dieses erbärmliche Existieren kurz hinwegtrösten, aber hinter jeder möglichen Lust steckt ein gefräßiger Wurm und hinter der Fresslust des Wurms versteckt sich nur das Wort „Fresslust“, das ein bleicher, selbstironischer Gott auf ein fiktives Blatt Papier geschrieben hat. - Alle Worte scheinen mir so unhaltbar lächerlich, so widerlich, so falsch - ich habe Lust, falsche Sätze zu schreiben, falsche Bücher, ich habe Lust alles falsch zu machen was man falsch machen kann, ich möchte die Worte so heftig aneinanderreiben, dass sie sich und meinen Verstand auflösen. Und um den letzten Trostversuch zu vereiteln: hinter meiner Wortfeindlichkeit steckt kein Ich, keine Seele, nur ein kalter, morbider Strom geschwätziger Animalität, die intellektuellen Eskapaden meines Affengehirns brauchen etwas Aufmerksamkeit, Anerkennung von irgendwelchen x-beliebigen Nichtsnutzen. Ich will für mein Zappeln nur anerkannt werden von Leuten, die besser zappeln können als ich (die besser zappeln, weil sie gar keine Worte haben), ich will nur Liebe von Menschen empfangen, die keiner nötig hat, die auf der Stelle verschwinden könnten, ohne irgendeine Lücke zu hinterlassen, die den Schmerz, den die Unaussprechlichkeit von allem bereitet, nicht kennen, weil sie von Natur aus schweigsam sind und nicht mit Worten umgehen können, so wie Kinder nicht mit den Ängsten und Geilheiten ihrer Eltern umgehen können; ja, ich möchte nur anerkannt werden von primitiven, ruhigen, wortlosen Menschen, die nicht in der Lage sind, diese Worte zu lesen, die mich nicht kennen, die keinerlei Interesse an mir haben.  Jeder Autor ist so lächerlich geschwätzig, er kreist immer nur um zwei oder vielleicht drei Gedanken und drückt mit seinem Werk diese Gedanken breit und sieht dabei so arrogant aus wie ein Kind, das zum Geburtstag nicht genug Geschenke kriegen kann. Alles was ich will ist die Zerstörung der Blutgefäße, die mein Geschwätzigkeitsorgan am Leben halten und ich werde über kurz oder lang dieses Ziel erreichen. Meine Worte sind zumindest verdorben genug, um sich zu einer selbstzerstörerischen Geschwätzigkeit zu ballen und irgendwann scheiße ich einen schwarzen, haarigen Klumpen ins Klo und wenn ich Pech habe, kann ich ihn problemlos runterspülen - wenn ich aber Glück habe, dann verstopft er mein Klo und ich versuche irgendwie das Rohr wieder freizumachen: eine geeignetere Methode, meine Lebensmüdigkeit für einen Moment zu vergessen, kann ich mir nicht vorstellen.

Absolute entfremdung von allem. Alles was es gibt und gab und geben wird ist nicht meine. Ich fühle mich, als wäre alles eine farce, die ich mir ausgeliehen habe, um nicht ganz in einem loch purer nichtigkeit wahnsinnig zu werden. Jetzt begreif ich erst, was mein vater sagte. Mein verstand hat ihn längst verstanden, aber jetzt ist das ganze verständnis in mein herz getropft.
Ich weiß, warum ich so oft abgelehnt werde: man ahnt, worauf ich hinauslaufe. Ich habe einen so riesigen hunger. Mein hunger macht mich unerträglich empfindlicher als die natur meinen körper eingerichtet hat. Wer nichteinmal aus hunger bereit wäre, einen menschen zu töten, ist für mich ein schandfleck, mit dem ich nicht in berührung kommen will, an dem ich nicht das geringste gefühl, nicht den geringsten gedanken verschwenden will.
Ich weiß, wie das klingt, ich meine es genau so und schäme mich nicht deswegen und glaube nicht, dass ich der einzige bin, der so empfindet. Ekel ist eine form von schmerz, er sagt was gut und schlecht für uns ist und damit, was zu uns gehört und was nicht. Er bleibt der letzte freund des von aller welt verlassenen. Glücklich aber der, dessen ekel nicht die kontrolle über das ganze leben gewinnt. Ich bin so ein glücklicher. Ich kann kein ungeheuer sein, dafür kann ich viel zu intensiv lieben. Ungeheuer können nicht lieben, sie sind irgendwo stecken geblieben. Wie cioran. Wie morrissey. Wie nazis oder banker oder al die leute die ich auf der straße sehe. Nur wenige von ihnen haben die kraft, ihre ungeheuerlichkeit mit ganzer kraft zu leben. Ich bin so verlassen von al er welt. Ich habe angst, dass ich meine fähigkeit zu lieben in einem plötzlichen anfall meinem ekel opfere. Vielleicht verkümmert sie auch in ständiger erwartung, fließen zu können. Wie ein hund der nicht aus der wohnung gelassen wird und lieber sterben will als auf den boden zu machen.
ich unterdrücke meine sehnsucht mit krampfartiger gleichgültigkeit. Ich wünschte, ich könnte sicher sein, dass es mir besser gehen würde, wenn ich einfach irgendjemanden töte. Ich mag es, am rand zu stehen und meine verzweiflung durchzubuchstabieren. Ich bin so sensibel, dass ich mich bestimmt gleich auflöse. Kein vater kann sowas dulden. Bei all dem bin ich auch noch ganz absurd unglaubwürdig. Ich hasse es, wenn ich auch nur ein geringstes fünkchen selbstbewusstsein ausstrahle. Ich hasse es, miss- verstanden zu werden. Ich schäme mich im nachhinein immer, wenn ich meine selbstbewusste farce genieße: so wie ein mädchen sich dafür schämt, im vollrausch ihrem onkel einen geblasen zu haben. Mein selbsthass ist das einzige, was zu mir gehört, das einzige was ich wirklich greifen kann. Daraus lässt sich bestimmt etwas machen. Es würde mich wundern, wenn ich selbstmord begehen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nicht mindestens hundert jahre alt werde.