Niemand

August, 2014

1

Ein Nachmittag. Das weiche Poltern der Mülleimer im Hinterhof, ansonsten drückende Ereignislosigkeit. Ich schleiche an meinen Wänden entlang, unverwickelt in die Geschichte, unbeurteilt von allen Geschichtsträchtigen. Die aggressive Ruhe verspannt meine Schultern, neutralisiert mein Gesicht, keine Regung verrät alles über meinen grauen Frieden mit der Welt. Einzig der Vogelgesang bringt etwas Lust und Kontur in den Tag. Was sühne ich hier?

Die Freude auf den Herbst trägt mich durch den langweiligen Alptraum des Hochsommers. Ich habe keine Lust, Leute zu treffen, bald fahren Bagger durch meine Wohnung. Vielleicht kann ich tagsüber bei Felix im Keller schlafen. Ich mag die Ungewissheit der Zukunft, den kalten Druck gegen meine Brust. Je weniger feststeht, desto mehr ist möglich. Ich versuche mir so wenig wie möglich Hoffnung zu machen. Ein bisschen Angst, zu verblöden.

Ich rücke mir immer mehr auf die Pelle und finde nichts mehr als Pelle.

Meine Starre: ich weiß, dass ich etwas dringend tun will, aber weiß nicht, was. Der Drang ist so stark, aber ich weiß nicht, wohin. Alles was ich tun könnte, würde mich doch bloß erinnern, dass etwas Anderes viel dringender zu tun ist.

"Man ist umso weniger wählerisch, je erschöpfter man ist." : Ein kühler Trost für Künstler, Verliebte und Hoffende, eine Warnung an Demokraten und eine Ermutigung für künftige Despoten.

Um nicht die restlichen Konturen meines Ichs in der Überfülle an Möglichkeiten aufweichen und verschwinden zu sehen, darf ich den Mut zum Verneinen nicht verlieren. Hypersensibilität verzehrt. Was ich bejahe ist abhängig von dem, was ich verneine. Ich muss die Zügel in die Hand nehmen, bevor ich die Lust verliere, der Ratlosigkeit die Stirn zu bieten.

Die Musik erweitert das Möglichkeitsspektrum der Nacht.

Man muss nicht jeden Tag leben.

Das Lustigste an meinem Leben ist, dass ich mein Elend genießen will wie andere ein Musikstück oder ein Sonnenbad genießen wollen.

Die Unermesslichkeit der Maschine, die mein Geist ist, offenbart sich mir, wenn ich die Augen geschlossen habe.

Sich vom Zweifel erfüllen lassen wie man sich nur noch von einer Utopie erfüllen lassen könnte, bedeutet, sich in den verbotenen Wald zurückzuziehen, während die anderen Kinder sich in der Wirklichkeit einer kleinen, grauen Stadt verzetteln. - Die schwarze Müdigkeit hinter meinen Augen rettet mich vor der gleißenden Müdigkeit, die die Sonne über Europa strahlt.

Je mehr ich über mein Eingeklemmtsein nachdenke, desto größer wird meine Lust, das Leben gegen den Baum zu fahren. Ich drücke meine Lust gegen das Leben - und versuche in einen Zustand zu gelangen, in dem ich nicht mehr wissen kann, wie diese Begegnung am wahrscheinlichsten endet - und verändere damit tatsächlich noch die Wahrscheinlichkeit.

Das Elend, zu speziell zu sein, hält dem Elend, nichts besonderes zu sein, die Waage. Individuum sein heißt einsam sein. - Alles, was uns besonders macht, trennt uns von der Menschheit; alles was uns mit Anderen gemein macht, drangsaliert uns.

2

Mit einer einzigen Frage fing das ganze Elend an: was soll ich anfangen mit meinem Leben bis der Tod mir alles wieder nimmt? Alles was ich mache, ist schlucken.

Zu sein und irgendwann nicht mehr zu sein. Der Apparat wird abgeschaltet. Hier steh ich noch und behaupte, dass alles Illusion ist. Ich kratz mich im Nacken und rieche an einer bunten Blume. Mein Bewusstsein ist ein Setzkasten voller Störfaktoren. Als leidenschaftsloser Sammler nehme ich an der Welt teil. Ich beobachte den Sonnenaufgang und hoffe, heute niemandem über den Weg zu laufen, so wie ich manchmal auch niemandem im Traum begegnen will. Das Leben, das ich führe, ist ein tolles Ding, es baumelt im Raum und verliebt sich in die Unendlichkeit der Musik. Experimentelle Musik kultiviert alternative Lebensentwürfe. Lasst es doch mal drauf ankommen und nehmt die Musik ernst, wie sie jedes Wort, das man ihr auf den Bauch malt, in eine Interjektion verwandelt. Nehmt teil an Euren Gefühlen, haut einen Ziegel in die Glastür, die den Traumraum und den Nichttraumraum voneinander abtrennt. Es gibt Dinge die man kann und Dinge die man nicht kann. Ich möchte nicht im Moment vergehen. Ich möchte "mich" behaupten, also hinter mein Ich ein Ausrufezeichen setzen, so wie es die Musik mit jedem Wort des Liedtextes macht. Jeder Atemzug öffnet ein neues Zeitfenster. Meine Weigerung, mich geistig und ästhetisch und körperlich weiterzuentwickeln, erfüllt mich.

Skeptizismus ist die einzige Einseitigkeit, die ich ertragen kann.

An mir bleibt nichts kleben und ich werde trotzdem älter. Kannst du verstehen, wie erniedrigt ich mich deswegen fühle?.

Am Ende des Tages steht immer eine rote Ziegelmauer, die von unseren Träumen Stück für Stück abgetragen wird. Der Schlaflose starrt sie an und glaubt, das Universum ist eine rote Ziegelmauer.

Leben heißt: offene Türen einrennen.

Es ist nicht möglich, das Leben nicht zu verschwenden.

Ich hasse es, so zu tun als würde mir dies und das etwas bedeuten; meine eigene Heuchelei widert mich so derart an. Eines Tages werde ich mich adäquat ausdrücken können.

Nichts gehört mir, ich bin für nichts bestimmt, je mehr ich über etwas nachdenke, desto kälter werde ich, seht nur, wie ich immer mehr nachlasse, während die Musik lauter wird und das Licht heller und meine Wohnung immer größer. Lieber bin ich ein verkrampfter, zappelnder Schriftsteller, der sich nach irgendeiner Besessenheit sehnt, die er ausleben kann, als ein kleiner, ordentlicher Mensch, der auf halber Flamme sich in den Dienst der Anderen stellt.

Ich schrieb meiner Mutter vor ein paar Monaten eine Email und behauptete, dass sie mit der Entscheidung, ein Kind zu zeugen, auch den Tod dieses Kindes in Kauf genommen hat. Sie schrieb mir empört Gründe zurück, warum sich mein Leben für mich lohnen würde. „Du kannst doch froh sein, dass ich dir das alles ermöglicht habe.“ Was für eine Ohrfeige! Am liebsten hätte ich geweint, aber ich konnte nicht. Ein wenig später schrieb sie mir noch, dass sie nach dem Absenden der Email sehr geweint hat. Seitdem begleitet mich die Idee des Selbstmordes wie mein zweiter Schatten.

Warum kann man nicht allein leben? Warum muss man Andere bezeugen lassen, dass es einen gibt? Weil man selbst nichts glauben kann, man kann nur Andere glauben machen.

Man kann umso leichter sterben, je mehr man zurücklassen würde.

Ich verlange von mir über Schwellen zu stolpern, die es gar nicht gibt.

Der Gedanke, dass ich jetzt irgendeine große Sache anstiften muss, lässt mich in all seine Schwammigkeit versickern.

Je mehr ich mir eine Alltagsstruktur versage, desto vergesslicher werde ich, desto unfähiger werde ich, schöne und schreckliche Erlebnisse einzuordnen und abzuspeichern, was dazu führt, dass ich mich an nichts gewöhnen kann, dass eine Verliebtheit oder eine Angst oder eine Niedergeschlagenheit immer wieder etwas Neues für mich ist. Ich habe das Gefühl, nicht zu altern, weil ich nichts zu lernen scheine, weil ich nicht abstumpfe, weil ich immer mit der gleichen Ratlosigkeit reagiere.

3

Ich hab Lust, die Leere auszuhalten und auszusehen wie ein unbeteiligtes Kind, das Herz aus Langeweile abgetötet und endlich Frieden geschlossen. 

Warum sollte sich jemand bewegen, der unglücklich verliebt ist? Ich stelle mir vor, wie die Zimmerdecke über mir zusammenstürzt. Es gibt jemanden, den ich küssen will und ich werde ihn niemals küssen. Die Zimmerdecke stürzt nicht über mir zusammen, also muss ich mir überlegen, was ich mit diesem Tag anfange, der so sinnlos offen, betäubend geräumig, warm und grell und stinkig vor mir liegt. Die Zeit vergeht einfach, häuft immer mehr Abwesenheit um mich herum an, alles was ich rede und tue und fühle ist nur noch eine fade, ironische Geste, weder dramatisch noch ästhetisch interessant.

"Achte auf die Belastungsgrenzen deines Gehirn. Alle Materie hat Belastungsgrenzen. Trau dir nicht zu viel zu, wenn du die Kontrolle über dein Leben behalten willst." - "Quatsch, Irrationalität ist meine letzte Chance, und bald werde ich mich trauen müssen, sie zu nutzen. Gründlich zu nutzen. Vernünftig sein kann jeder." - "Durchdrehen ist total einfach. Man muss nur ein BISSCHEN konsequent sein."

Man muss nicht immer etwas denken und fühlen. Man kann auch einfach ein bisschen tot sein. Das geht am schnellsten in irgendwelchen bunten Bars, aber so eilig hab ich es noch nicht. Ich mag es, ambivalent im Ungefähren zu wabern und irgendwann, wenn das Wetter günstig ist, ein bisschen fanatisch an irgendwas zu basteln, an einem Buch, an einem Lied, an einer Romanze...Alles wird katastrophal enden. Das ist die Gewissheit. Deshalb sind wir ja da, um es katastrophal enden zu lassen. Das mag dir zu pathetisch sein, mir scheint es sogar zu pathetisch, dem Leben gegenüber positiv oder gleichgültig eingestellt zu sein.
Für mich hat das Leben nur eine Rechtfertigung, wenn ich weiß, dass es irgendwann oder schon ganz bald katastrophal enden wird. Ohne meine Sehnsucht nach einer finalen Katastrophe könnte ich meine vielen Katastrophen der Vergangenheit und Gegenwart nicht rechtfertigen. (Keine echte Katastrophe kann gerechtfertigt werden - wenn etwas gerechtfertigt werden kann, ist es keine Katastrophe mehr. Bloß die finale Katastrophe kann für den, der sie erlebt, eine Rechtfertigung haben.)
Irgendwann werden alle Strukturen aufbrechen, es wird keine Bedürfnisse mehr geben, nur noch die Sehnsucht nach einer Ewigkeit Nichts - mit einem kleinen Klick, einem kleinen Schritt, einem kleinen Mut lässt sie sich erfüllen. Es ist so skandalös einfach, dass ich heulen könnte. Aber es könnte schlimmer enden - und ich will auch, dass es schlimmer endet.
Ich möchte keine Geschichte haben, ich möchte nicht an einer Vergangenheit hängen. Es wird nie mehr so schön werden wie früher... Mehr muss ich nicht wissen. Entweder alles bewegt sich auf einen großen Knall zu oder man verblasst und wird schwächer und stumpfer. -
- Soll die finale Katastrophe im Altenheim stattfinden oder nicht? Das ist die zentrale Frage.

Nur weil du das liest, bist du nicht im Zentrum. Nur weil du existierst, hat das Universum kein Interesse an dir. Ich hasse Leute, die über das Universum reden. Ich bin nur ein Soldat, der seinen Befehl sucht, ich bin nur ein Liebender, der ein Herz zum Brechen sucht. Ich hasse Leute, die über Herzen reden. Wenn Musik kommt, dann setz dich hin und sei ruhig, wenn Worte kommen, dann versuch nicht zu urteilen, ich hasse Leute, die urteilen. Mein Schreiben ist nicht das Zentrum dieses Gedichts, mein Ich ist nicht das Zentrum dieses Zimmers. Ich hasse es, wenn ich versuche, im Zentrum von irgendwas zu sein. Versuch nicht erst, glücklich zu sein, versuch nicht erst, bei dir zu bleiben. Schau einfach in den Himmel; demonstriere deine Freiheit indem du dich auflöst.

Man überlebt eine Unendlichkeit, nämlich die vor der Geburt, aber nicht die ab dem Tod. Unser Alltag verhindert, dass wir ein Gefühl für die Unendlichkeit des Nichts, das auf uns wartet, entwickeln können. Wir nicken unkonzentriert ab, was uns die Naturwissenschaftler sagen, aber wir haben keinen Begriff davon. Die Angst vor dem Nichts, könnte sie ihre unendliche Schönheit gegen den Alltag durchsetzen, würde uns niemals erlauben, mit beiden Beinen gerade aus zu gehen oder unseren Blick in den Himmel zu richten.

Eine Ewigkeit Nichts. Dann geraden Moleküle so aneinander, dass mein Bewusstsein entsteht, und mit diesem Bewusstschein schau ich mich um - und dann wieder eine Ewigkeit Nichts. Nur einmal leben. Danach nie wieder. Ich hab eben geträumt, dass ich deswegen weine, nachts auf einem verregneten Kirchdach, ein Freund umarmt mich und sagt "Oh bist du schön warm"  und dann gehen wir weiter. Der Freund warnt mich vor Löchern im Dach: "Pass auf, ob du aufs Dach oder in den Tod trittst" und ich spring drüber und schau zurück und er fällt kerzengerade durch das Loch und ich spüre wie mich das Universum in der Klemme hat und wache mit einem Schwindelgefühl auf und frage mich, warum niemand Tag ein, Tag aus von der dummen, unendlich kalten, trostlosen, skandalösen Tatsache unserer absoluten Sterblichkeit zum Heulen gebracht wird. Man lebt nur einmal kurz und danach nie wieder. Das Bewusstsein starrt in die unerreichbare Unendlichkeit, niemand der gern am Leben ist, will sterben und irgendwann ist alles für immer, für immer vorbei und nichts kommt wieder. Ich fühle mich den ganzen Tag so leer, so schwach, zerbrechlich, ausgeliefert, ich möchte all meine Freunde umarmen.

Warum existieren wollen? Warum Lust empfinden wollen? Warum das Schöne und das Gute suchen? Merkt ihr nicht, dass das Leben euch als Wirt benutzt und die Lust nur ein Mittel ist, damit ihr zumindest solang nicht sterben wollt, bis ihr euch reproduziert habt? Dem Leben liegt nichts an dir persönlich, deine Individualität ist nur eine schöne Blüte, die dich davon ablenken soll, dass du nur einen Sinn für das Leben hast, wenn du dich vermehrst. Wer sich nicht vermehren will, wer das Leben als Selbstzweck benutzt, steht außerhalb des eigentlichen Lebensstroms. Hier gibt es wirklich nichts zu tun. - Wenn du dich hier aber zufällig "gefunden" hast, was bleibt dir anders übrig, als dich sofort wieder zu verleugnen?

So wie ich hoffentlich irgendwann zu verkraften lerne, dass ich niemals die Lippen küssen werde, die ich küssen will, werde ich hoffentlich auch zu verkraften lernen, dass irgendwann mein Leben für immer vorbei ist. Vielleicht werde ich meinen Tod aber auch niemals verkraften können, weil ich niemals den, den ich lieb, küsse. Ich bin derart unvorbereitet auf den Tod, dass ich nur wütend sein kann, niemanden zu haben, den ich für meinen Alterungsprozess verantwortlich machen kann. Die Lüste, die das Leben bietet, sollen über den Tod kurzzeitig hinwegtrösten. Die Untröstlichen ziehen sich vom Leben zurück, verkriechen sich in einer abgedunkelten Wohnung, lassen sich mehr und mehr drangsalieren von ihrer Unfähigkeit, irgendeinen Fluch in den Weltraum zu spucken, werden immer kälter, leerer, dunkler, ihre Gesichtszüge werden immer neutraler, ihre Herzen ruhiger und in ihren Träumen liegen sie im warmen, weichen Gras, an den sprudelnden Quellen ihrer Kindheit. Nur das Imaginäre, das Falsche, das Unwesentliche, das Unnatürliche schützt vor dem Sterben. Der Sinn des Lebens ist, Fingernägel zu knabbern.

4

Wenigstens das, was nicht ewig ist, ist absolut nichts wert.

Das Leben ist ein Selbstgespräch in einem grusligen Garten. Ich zünde die Kerze meines Schweigens an, um mir den Weg zu leuchten zum Schafott meiner Gleichgültigkeit.

Innere Widersprüchlichkeit ist das einzige Prinzip, auf das ein Skeptiker reitet. Seine "Prinzipienlosigkeit" ist das einzige Prinzip, an das er sich bisher halten kann, ohne zu glauben, dass das für immer so sein wird. Wer auf trockne, mathematische, gymnasiale Diskussionen steht, hat Schwierigkeiten zu verstehen, dass das "Prinzip" der Prinzipienlosigkeit gar kein echtes Prinzip, sondern nur eine Metapher ist. -> Ich weiß nicht, ob ich jemals an etwas glauben kann. -> Bevor du mich wegen etwas kritisierst, überleg dir, ob ich mich selbst nicht schon genau so dafür kritisiere. Vielleicht bin ich bloß unfähig, nichts Produktives mit meiner Selbstkritik, meinem Selbsthass, meiner Selbstverleugnung anzufangen, aber dafür muss ich nicht kritisiert werden... ein bisschen Hilfe wäre da nützlicher.

Alles Gewesene ist Brei. Die Zukunft ist eine Schüssel für noch mehr Brei. Und die Gegenwart ist das Rühren des Breis.

Jedes Tier kann gleichermaßen brutal und zärtlich sein, genauso jeder Mensch. In misanthropischen Verstimmungen finde ich diese extremen Züge des Menschen so abstoßend, dass ich glaube, nur bei einem mittelmäßigen, sterilen, von allen Affekten und Bedürfnissen gereinigten Menschen zur Ruhe kommen zu können. Ich wünschte, ich wäre mit einem talentlosen Autisten befreundet, mit dem ich mich von Zeit zu Zeit in eine eigenschaftslose Zweisamkeit zurückziehen kann.

Erst wenn man die Worte zerstört, gelangt man unter die Oberfläche des Bewusstseins.

Wenn es kein festes Ich gibt, gibt es keinen festen Autor und keinen festen Stil und absolut keine Instanz, die entscheidet, was geschrieben und was nicht geschrieben werden soll. In diesem Fall - die Neurologie sieht ihn als gegeben an - ist es genau so aufrichtig, alles wie garnichts zu schreiben. Wo ich also jetzt schon am schwadronieren bin....

Wer unsicher ist und darüber schreibt, ist nicht so unsicher wie jemand, der in seiner Unsicherheit nicht schreibt. Daher kann eine konsequent skeptische Literatur nur auf ihre Selbstzerstörung aus sein. - Ich will nichts tun, denn ich habe nichts zu geben.

Nachts. Hab ich je richtig geschlafen? Ich fühl mich wie ein Gespenst, wenn ich von Unberührbarkeit niedergedrückt durch die Straßen ziehe und mir vorstelle, dass gleich tausende Leberflecken meine Haut überfallen. Der eine da an meinem linken Zeigefinger sieht schon dunkler aus als sonst. Abgetrennt von der Welt der Anderen suche ich Halt in der Uferlosigkeit meines ermatteten Körpers. Ich kann mir keine entspannte Zukunft vorstellen. Ich stecke im unannehmbar Gegenwärtigen, ein Loch, das die Vergangenheit gegraben hat. Seit Jahren immer wieder die selben Erschütterungen - unterschiedliche Auslöser, aber im Grunde ein und das selbe: die Gewissheit, dass ich aufgrund einer körperlichen und geistigen Behinderung inkompatibel bin mit einem normalen, glücklichen Leben an der Seite eines gemütlichen Menschen. Jedes kleine Missgeschick, jeder elende Zweifel, jede dumme Angst bläht diese Gewissheit stetig auf, bis sie mich total erfüllt und auf den Boden drückt. -- Ich lege mir - es sieht wie ein mutiger Trotz aus, aber es ist nur ein Symptom meiner Krankheit - einen Dorn Easy-Listening-Musik in den Kopf und dreh mich im Kreis. Ich denke an meine Freunde, an ihre Gesichter, ich stelle mir ihre Intensionen vor, ich neide ihnen alles. Ich schäme mich dermaßen vor diesem Neid, dass ich in Tränen ausbrechen möchte, aber selbst dafür bin ich zu entartet. Ich sehe in allem, was mir nicht gleichgültig gegenübersteht, einen Grund, zu verschwinden - ich muss nur richtig hinsehen. Da! Siehst du? - - Irgendwann hat man alle interessanten, kreativen Möglichkeiten der Schlaflosigkeit aufgebraucht. Irgendwann gibt es einfach nichts Neues mehr zu  erkennen und schon garnichts mehr zu tun. Ich weiß, dass ich alles verstanden habe, was es an meinem Leben zu verstehen gibt. Ich lebe, um sinnlos zu leiden. - Warum steig ich nicht aufs Dach und werf mich runter? Weil meine Freunde es nicht verstehen würden? Weil meine Mutter weinen würde? Mein Selbstmord wäre nur der Gipfel meiner Abartigkeit, mit ihm würde ich alles Elend für immer und für alle sichtbar besiegeln. Nein, ich muss etwas viel Unerträglicheres, Unmöglicheres tun: am Leben bleiben.

Eine der seltsamsten Genießbarkeiten: mit Ambientmusik (z.B. von Stars Of The Lid) eine angespannte, fast überspannte Schreibblockade sublimieren, aushebeln, sich in eine Unartikulierbarkeit hineinsteigern, die fest verbunden mit der eigenen Existenz ist, bis all die diffusen, uninteressanten, nervtötenden Bruchstücke von Gedanken und Halbgedanken, Gefühlen und Halbgefühlen beginnen mit den ätherischen Schwingungen der Musik zu verschmelzen. - Ich habe nichts zu schreiben, es gibt keinen mich überzeugenden Einwand gegen diese Schreibkrise, ich wüsste nicht, warum ich etwas schreiben sollte... Langsam verschwindet der Druck, mich auszudrücken... Die Erleichterung, die ihm folgt, ist das Höchstmaß an Aufrichtigkeit, das ich jemals werde leisten können. - Was tun, wenn nichts mehr zu sagen und erst recht nichts mehr zu tun, aber schlafen unmöglich ist? Versteck dich vor der Welt, reagiere auf nichts mehr, glotze den grauen Morgenhimmel an ... nähere dich so einer namenlosen Angst, die das endgültige Verschwinden der Individualität, der Kreativität, der Nützlichkeit ankündigen will.