Generation Y

Oktober 2012

"Der Zauberberg von Thomas Mann ist wirklich ein Monolith!", sag ich mir, meine klobigen Hände belächelnd, bevor ich noch einen Espresso nachschicke. Stil ist etwas Körperliches. Wie hält er den Pinsel? Wie gut kann er beobachten und wie fein sind seine Bewegungen und wie ausdauernd ist er? Wie geht er mit dem um, was ihm zur Verfügung steht? Meine aphoristischen Bücher kommen aus meinem fragmentarischen Denken, das aus meinem dezentralen Gehirn fließt und im absoluten Sprachsystem mumifiziert wird.

Ein Buch über Koffein kann nur ein Manifest gegen die Manifestation des Autoren sein. Ich möchte mich nicht im Magen meiner Existenz auflösen in meinen sauren Überzeugungen und ätzenden Entscheidungen. Ich glaube nicht meinem Verstand und auch nicht meinen Gefühlen und Instinkten. Ich stecke noch viel zu sehr in dieser bürgerlichen, spätkapitalistischen, postfaktischen Gesellschaft, ich habe noch ganz viel Schmutz in mir kleben und er wird immer mehr und irgendwann überwältigt er mich, wenn ich nicht platze.
Es gibt noch keinen Maßstab, an dem ich zweifellos ablesen kann, was gut und was schlecht für mich ist. Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und gehe auf Nummer sicher und trete mehrere Schritte von mir zurück und leg mich auf den Boden und schaue in den klaren Sternenhimmel, statt mich in eine Biografie zu verheddern. Dieses Buch ist der Versuch, meiner Selbstzerfaserung treu zu bleiben. Ich liege auf der Hängematte meiner Unmöglichkeit, mich selbst voll und ganz darzustellen. Ich bestehe zu 50% aus Worten und zu 50% aus dem, was die Worte verschweigen, verbergen oder im Begriff sind zu zersetzen, zu zerlegen, aufzulösen.

Ich stehe mit fiktiven Beinen auf dem harten Boden der Tatsachen und ritze mir ein Y in meine Stirn mit einer fiktiven Rasierklinge. Könnt ihr es sehen? Why! Warum ist kein Fragewort, sondern ein Ausruf! Niemand von uns verlangt eine Antwort. Jedes Fragezeichen ist ein Befehl, der sich über eine gewundene Hintertreppe einen Weg ins Innere sucht.
Jedes Ausrufezeichen ist eine Frage, die pfeilgerade fliegt. Mein Gehirn ist eine Dampfmaschine aus dem späten 19. Jahrhundert. Ich produziere Sätze am laufenden Band, ohne bereit zu sein, Verantwortung dafür zu übernehmen. Y!

So wenig ich mich als Deutscher oder Europäer fühle und auch keine Vision von einer neuen, "echten" "Heimat" habe, so wenig ich mich der hier herrschenden Wirtschaftsordnung verpflichtet fühle und mich ihr doch unterwerfe, so wenig ich mich manchmal sogar als Mann, als Mensch überhaupt begreifen kann und doch keine Konsequenzen daraus ziehe, so wenig ich fähig bin, feste Meinungen und Ideale zu haben und sie wohl doch nötig habe oder wenigstens so wirke, als hätte ich welche, so sicher sollte ich mich meiner Generation verbunden fühlen, die man seit den letzten Jahren als Maybe-Generation bezeichnet -  und doch spüre ich, wie der Espresso mich ganz weit weg, in eine xxxxxxxxxxx, yyyyyyyyyy, zzzzzzzzzz Höhe oder Tiefe zieht. Dieses Buch behandelt die Eigenschaften dieser Höhe oder Tiefe.

Das bunte, unendliche Internet hat uns mit mehr Reizen überflutet als jede Generation jemals zuvor überflutet wurde. Wir sind dabei, uns völlig aufzulösen in einer unbegrenzten Masse an Informationen, Gesichtspunkten, Meinungen und Werten und Wahrheiten. Wir finden die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens gut, wir wollen nicht sesshaft sein, wir ernähren uns gesünder als jemals zuvor, wir wollen nicht übermäßig ausgebeutet werden und uns nicht auf einen Beruf, auf ein Lebensentwurf festlegen. Wir sind nicht fanatisch genug, um in einem Betrieb oder auf einer Baustelle die Führung zu übernehmen. Ob man einen Job hat oder nicht, ist vollkommen nebensächlich, wenn man weiß, wie man sein Gehirn auf Touren bringt. Ich predige euch Rückschritt! Holzwege! Krankheit! Zweifel! Terror! Free Jazz! Kaffee, Ingwer, Meskalin und Blattspinat!

Wir können all die Leute nicht mehr ernst nehmen, die mit einer preußischen Arbeitsmoral den Rücken für eine abstrakte Mehrheit krumm und krummer machen. Wir hassen die Arroganz, mit der sich die Mehrheit zum gesunden Standard erhebt. Alles muss bei ihnen geschmiert laufen; ein Uhrwerk, betrieben von geölten Ochsen. Wir wollen (noch) (dieses "noch" will mich müde machen, aber der Kaffee steht im Weg) nicht so enden!

Sie haben dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als Notwendigkeit akzeptiert, sich daran gewöhnt und ihre menschlichen Körper haben sich in Ochsenkörper verwandelt, die ganz und gar abhängig von diesem System sind. Die können fast gar nicht glauben, dass es Leute gibt, die gesund und glücklich sind, ohne Ochse zu sein. Die Ochsen haben keine Zukunft. Es wird sich erweisen, dass die heutigen Faulen und Selbstsüchtigen und Nihilisten und Anarchisten und Saboteure die besseren Antworten auf die Fragen haben, die uns die Zukunft auf einem Silbertablett serviert.
(Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!)

Wir sind eine Generation auf wackligen Beinen. Wir schwanken zwischen Aufopferung und Selbstverwirklichung, wir wissen weder, wofür man sich ganzen Herzens einsetzen könnte, noch wissen wir, wer wir wirklich sind und was wir für ein politisches Gewicht sein könnten. Wir haben keinen Kern, keine Balance, keine Richtung, wir sind unführbar, unkonzentriert, so zermürbend unauthentisch, dass Leute mit weniger Nerven als ich uns als "authentisch" bezeichnen. Wir arbeiten nicht mehr für euch, wir wollen uns auch nicht mehr fortpflanzen - besorgt euch eure Rente von anderswo! Wir bereiten die Generation Z vor, die letzte Generation des Menschen: asexuell, nihilistisch, vollkommen. Die Erde wird wieder zu einem Paradies werden. "Und bis dahin?" Üben, üben, üben...