Leitfäden

I
Frühjahrsoffensive

Imperative muss man benutzen wie Lieder.
(Hanna Miles, frz. Bankräuberin)

Brich deine Ausbildung, deine Justierung, deine Abrichtung, deine Hinrichtung ab: die Frage, wer du bist, ist die Sollbruchstelle!
Sei so oft es gut tut erschöpft, lebe immer nahe den Quellen die dir Kraft spenden, sei leicht und scheu, langsam, wählerisch, schweigsam und lebe im Verborgenen!
Trink jeden Tag zwei Liter starken Grüntee! Umarme deine Schlaflosigkeit!
Probiere alle Meinungen aus, bist du alle hinter dir, unter dir hast.
Versuche es nicht mit Seelenfrieden!
Wenn dein Leben nicht notwendig ist, mach trotzdem noch ein bisschen weiter!
Du musst nicht alles sehen und wissen wollen.

Behandle deine Werte und Schwächen wie deine Haustiere: sie machen dir das Leben leichter.
Keine deiner Körperfunktionen darf dich anekeln!
Du musst dem Gutes tun, den du sympathisch findest und dem Schlechtes tun, den du unsympathisch findest! Wenn du genug hast, versuch es auch mal umgekehrt, damit du nicht verblödest!
Weigere dich, die selbe Atemfrequenz anzunehmen wie Leute, die du verachtest!
Lass dich nicht zwingen, vor Leuten zu argumentieren, die kein Recht auf dich haben - weil du sie nicht umarmen magst!
Verwechsel dich nicht mit den Vorurteilen, die die Anderen von dir haben, die du selbst von dir hast!
Niemand kann dich verstehen, man kann dich immer nur auslegen, man kann immer nur hinzudichten, wegdichten, dich zurechtdenken. Wenn du dich dagegen nicht wehrst, glaubst du irgendwann den Auslegungen und Zurechtmachereien.
Was wäre die Sonne, würde sie ihre Helle und Wärme hinterfragen?

Wenn du durch die Stadt läufst, mach so viel wie möglich Biotonnen auf und lass würzige, fruchtige Gerüche es mit dem grauen, schweren Gift der Stadt aufnehmen!
Sei nie zu sensibel, um jemanden verletzen zu können - um genau zu sein: sei immer sensibel genug, um jemanden verletzen zu können!
Träume von verbotenen Dingen, reichere deine Vormittage mit Paranoia und Fernweh an! Der Süden deiner Seele wartet auf dein blutendes, herzliches Herz!
Es gibt so gut wie keinen ernstzunehmenden Grund, seinen besten Freunden oder seiner Familie nicht mal eins in die Schnauze zu hauen!
Beschränke dein Hab und Gut auf ein Minimum. Mach dich nicht von teuren, seltenen oder zerbrechlichen Dingen abhängig. Verzichte auf alle Dinge, deren Verlust dich verärgern würde!
Klau dir jeden Tag massenweise Obst und Gemüse und werde süchtig danach!

Schütte deinen Besteckkasten aus, hol das Beste aus deinen Lücken raus, erinnere dich an die Zeit in der du nicht lesen konntest, besorg dir eine Trommel und trommel deine falsche Ehrfurcht weg!
Lass die Idee des Selbstmordes und die Idee, einen Anderen zu töten, aufeinanderprallen!
Fälle Entscheidungen lieber mit Zahnseide als mit einer Axt!
Hinterfrage mit deinen Geschlechtsorganen deine soziale Ader, während du zu Ligetis „Lontano“ (Link) ein Pferd ausweidest!
Zerkoche deine alte Langeweile, häng sie an die Leine und warte bis Vögel sie zukacken und schmier damit die Schlafzimmerwände deiner Eltern voll! Sei bloß nicht so gut wie du sein könntest! Geh um Himmels Willen sparsam mit deiner Güte und Liebe um!
Schließe Dinge im Nachhinein aus und nicht von Vornherein!
Vermeide Kompromisse!

Miete dir eine serbische Blasmusikkapelle und zieh mit ihr durch die Nacht!
Schau dir Videos von Enthauptungen an!
Zerstich wahllos Autoreifen!
Sei vier Tage wach, schlafe zwei Tage durch!
Wenn du über deine Verwirrung nicht lachen kannst, bist du nicht verwirrt genug.
Schließ dich irgendwo ein und schmiede gute böse Pläne!
Benutze Menschen als Hantelgewichte, um dein Selbstbewusstsein zu stärken. Vergreif dich erst an Schwächere und such dir dann immer Stärkere!
Entdecke den Mörder in dir! Nimm dir ein Messer, lauf nachts durch die Stadt und such dir ein passendes Opfer und stich es nieder, weide dich an seiner Todesangst, seinem Schmerz, seinen höchsten, ehrlichsten Empfindungen!

Verkneif dir niemals ein Lachen, wenn es dich entspannen, dich erheben, dich befreien würde, falls du dich damit verteidigen kannst, falls du damit vielleicht sogar angreifen kannst. Wenn man über etwas nicht lachen kann, existiert es nicht!
Nimm Musik immer ernster als sie gemeint ist.
Lehne es ab, ohne deine Lieblingsmusik zu reden oder auch nur zu denken.
Schreie niemals etwas mit Leuten im Chor.
Versuche an einen Punkt zu kommen, an dem du nicht mehr in der Lage bist aufzugeben.
Du sollst nur die Menschen küssen, die dir Kraft geben und nicht die, die dich schwach machen!
Bewerte alles immer wieder neu! Dein höchstmögliches Glücksgefühl sei dir Richter und Henker.
Roll dich seitwärts, abwärts,
tiefwärts,
grenzwärts.
Misstraue allem, für das man Worte hat!
Bereite dich auf ein langes Schweigen vor!
Es wird Frühling!


II

Strategien gegen ein frühzeitiges Altern.

Halte dich von Leuten fern, die Erwartungen in dich stecken wollen.
Misstraue wohlklingenden Sätzen.
Geh sparsam mit dem um, was du hast und verschlaf nicht die ganze Nacht.
Misstraue jedem, der von Vollkommenheit oder "den einzigen Weg" redet.
Denke langsam und rede so wenig wie möglich.
Wenn dir eine Frage gestellt wirst, auf die du nicht antworten möchtest, lächle und lüge.
Hab keine Angst vor den Keimen anderer Leute: dein Immunsystem muss ständig was zu tun haben.
Wenn du verlierst, verfluche das Spiel.
Wenn du einen Fehler begangen hast, tu so, als wäre es Absicht gewesen.
Rede mit niemandem, der darauf angewiesen ist, dass du freundlich zu ihm bist.
Teile deine Einsamkeit mit Leuten, die du gern umarmst.
Stille ist manchmal nur der Pelzmantel der Stumpfheit.
Halte deine schlechte Laune in schlechten Texten fest.
Lebe ein frivoles, ehrloses, chaotisches Leben, so dass du auf deinem Sterbebett noch dreckig lachen kannst.
Nur schlechte Schriftsteller packen Lesestoff zwischen die Zeilen.
Wenn du unsterblich sein willst, bring etwa fünfzig Leute um.
Das Glück ist eine bittere Fotze, die geil auf den Penis deiner Unentschlossenheit ist.
Der Wert eines Erfolgs steigt nicht mit der Größe der für ihn erbrachten Opfer.
Wenn du mal ein paar Tage nichts isst und ein paar Jahre Liebeskummer hast, ist es auch nicht so schlimm. Hauptsache du wirst nicht bockig.
Verschwende deine Wut nicht beim Sport.
Stopf so wenig wie möglich Fleisch- und Milchprodukte in dich rein.
Schließe mit jeder idealen Zukunft ab.
Rede mit ausgewähten Leuten, denke viel und handle immer nur überstürzt oder gar nicht.
Sei niemandem dankbar, immer unzufrieden und schnell angeödet.
Sei niemals mit dir zufrieden. Selbsthass macht unabhängig.
Tu denen gutes, die du magst. Tu denen schlechtes, die du nicht magst.
Geh mit deinem inneren Schweinehund lieb um, er wird dir noch das Leben retten.
Zerrütte deine Familie und mach dich nicht abhängig von deinen Freunden.
Genieße all deine Körperfunktionen.
Stürze wie ein Besessener in das schwarze, grimmige Loch, das dir deine Zukunft entgegenklafft.
Versuche nicht, alles sehen und wissen zu wollen.
Lass die Idee des Selbstmordes und die Idee, einen Anderen zu töten, täglich aufeinanderprallen.
Nimm den Tod nicht ernst. Leben heißt, permanent arrogant zu sein gegen Leid und Sterben. (“Ich glaube nicht, dass ich sterbe. Ich bin viel zu instabil, viel zu unrein, viel zu verliebt.“)


III

Wie man ein genialer Künstler bleibt.

1 Sei zu stolz um Listen abzuarbeiten
2 Vergiss wichtige Dinge
3 Imitiere Vorbilder
4 Übertreibe deine Lustlosigkeit
5 Verwurzel dich
6 Verkrampfe dich
7 Übertreibe deine Erschöpfung
8 Sag tagelang kein Wort
9 Betrinke dich und lalle
10 Missachte deine Herkunft
11 Nerve dich mit schlechter Musik
12 Sei elitär, bockig und unnahbar
13 Umgib dich mit faulen, depressiven Menschen
14 Fang dir niemals Rückmeldungen ein
15 Arbeite immer alleine
16 Erkunde die Verlockungen der Resignation
17 Mach nur das Nötigste
18 Alle Maßstäbe sind umsonst!
19 Bleib immer an einem Ort und langweile dich
20 Schau stumpfsinnige Filme
21 Sei desinteressiert am Wohle Anderer
22 Schlaflosigkeit ist eine Allzweckwaffe
23 Riskiere das Ende der Welt
24 Der Kreativität wegen Regeln zu brechen ist nervig und dumm
25 Niemand interessiert sich für Dinge die dich glücklich machen
26 Erzwinge deine Genialität
27 Denke täglich an den Tod und der mit ihm verbundenen Vergeblichkeit allen Tuns
28 Sei zu wild um Gerüste, Systeme und Pläne zu erstellen
29 Versuche jemandem zu gefallen den du magst
30 Alles was du aufschreiben musst, ist nichts wert
31 Vermülle deine Wohnung
32 Sei stolz auf deine schlechte Laune und halte sie lebendig
33 Sei nie zufrieden, komm niemals zum Schluss
34 Lass dich nicht von Leuten animieren, die dich nicht kennen
35 Sei dir bewusst, dass sich niemand für dich interessiert
36 Ärgere deine Nachbarn


IIII

Gute Dinge
starker grüner Tee, frischer Knoblauch, schwarze Oliven, Ingwer, Peperoni, Tomaten, Buchweizen, Honig, rote Weintrauben mit Kernen, Orangen, Johanniskraut, Kaffee, Fliegenpilze, Speed, Tollkirsche, Schlafentzug, Peyote-Kaktus, Bioabfall, Rhythmen, Übersteuerung, Schrott, Pathos, Fürze nach gutem Essen, Vermögenssteuer-Erhöhung, Börsenumsatzsteuer, rote Schulmalfarbe ums linke Auge, Fasten, dreckige Klamotten, lichtundurchlässige Vorhänge, schalldichte Fens- ter, gute Boxen, Schallplatten, Free Jazz, Noise, „Addicted to love“ von Robert Palmer, Bio-Licht, Futurismus, Art Brut, fahrendes Volk, mit jemandem im Dunkeln liegen und reden bis man einschläft, VHS, alte Super8-Aufnahmen, Kälte, Wunden, schöne Träume, Kopfschmerzen, brennende Häuser/Mülltonnen/Bäume, Küsse auf den Mund, Umar- mungen, Blümchensex, Herbstsonne, Zugfahren, alle Körper- funktionen, Regen und Gewittersturm bei Nacht, treue lebhafte kuschelige Hunde, Falschgeld, Schusswaffen, alle möglichen Löcher

Gute Tätigkeiten
herumirren, laut sein, zittern, über nichts bestimmtes nachdenken, schweigen, dumm sein, glühen, zertrümmern, entspannen, schwelgen, kalt sein, stinken, fressen, ficken, Dinge oder Menschen anmalen, Vorbilder suchen, misstrauen, rauschen, trommeln, zweifeln, fanatisch sein, lügen, freundlich sein, Menschen ärgern, den Tag verschlafen, klettern, mit Freunden kochen, schlürfen, schleichen, versagen, schadenfroh sein, mit wenig Geld solang so leben als hätte man viel Geld bist man gar keins mehr hat, irrational und grausam sein (die eigene geistige/körperliche Leistungsfähigkeit dafür aber nicht unbedingt opfern)

Gute Eigenschaften
unscheinbar, skeptisch, trottelig, unvernünftig, aggressiv, vorsichtig, mutig, androgyn, sehnsüchtig, heimatlos, egoistisch, gierig, kindlich, ignorant, geduldig, widerstandsfähig, melancholisch, liebevoll, verzweifelt, unantastbar, rücksichtslos, arrogant, leidenschaftlich, zynisch, weltfern, gottlos, organisch, hypnotisch, subversiv, unbeaufsichtigt, illegal, ambivalent, herzlich, spendabel, genießerisch, traurig