Anmaßungen

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Nicht schlafen können ist eine Kunstform, die über alle Werke erhebt. Erdrückende Ekstase. Die Wahrnehmung schneidet wie ein Messer durch die stehengebliebene Zeit und den Raum, in dem kein Gedanke hängen bleibt, nichts bleibt hängen an der hypnotischen Monotonie des Schneidens. Jede durchwachte Nacht verringert die Lebensspanne um etwa eine Woche.

Über 300.000 verlorene Seelen in einem Dorf. Über 300.000 Gründe, nichts zu tun.

Jemanden verstehen heißt, ihn besiegen. - Sich entscheiden heißt, verlieren.

Erst wenn man dem eigenen Leid keinen Sinn mehr geben kann, hat man es verstanden.

Jeder Gedanke ist ein Zwangsgedanke.

Es gibt für jedes Problem mindestens eine katastrophale Lösung, die sich lohnt.

Der Ängstliche sieht mehr als der Mutige, der Mutige ist fröhlicher als der Ängstliche. Je mehr der Ängstliche sieht, desto ängstlicher wird er. Je fröhlicher der Mutige ist, desto mutiger wird er.

Ob man die Dinge ernst nimmt oder nicht - man wird ihnen niemals gerecht.

Man kann sich so schnell und effektiv von allem Bedrückenden lösen, bloß nicht von der Lust, bedrückt zu sein.

Der Existenz ist es egal, warum sie existiert. Sie säuft einfach die halbe Bar leer und fällt irgendwann vom Hausdach.

Der Bordstein ist überzeugender als das Abendrot - solider, verlässlicher.

Der Lebenswille verkleidet sich oft als Verzweiflung - der Todestrieb trägt gemütlichere Klamotten.

Der Tod ist das einzige das man anfassen kann, ohne sich zu blamieren.

Denken ist ein Abreibungsprozess. - Bewusstsein ist der Sand im Getriebe des Körpers.

Warum ist Manie und Depression, Selbstsicherheit und Selbstunsicherheit, Aufmerksamkeit und Langeweile so dicht beieinander?

Wenn man alles durchschaut hat, kann man das Leben nur als Psychopath, Junkie oder Bettelmönch ertragen.

Leben und Tod kämpfen miteinander - das Resultat ist ein blühender und irgendwann ein welkender Körper.

Das Leben erfindet sich immer neue Mittel gegen den Tod und die Langeweile. Viele Mittel sind nicht mehr zu gebrauchen und einige werden bald wieder nützlich sein. Die Sensiblen suchen und finden zuerst, dann ihre Freunde, dann eine Subkultur, dann eine Gegenkultur.

Eine oder mehrere Meinungen zu haben ist genau so idiotisch wie gar keine Meinung zu haben.

Zwei Arten von Skeptikern: die einen sind von Zweifeln zerfressen, die anderen von Zweifeln erfüllt.

Wir erwischen die Wahrheit immer nur dann, wenn sie versucht sich in einem Zwiespalt zu verstecken.

Arbeiten, etwas erschaffen, etwas bewirken heißt: das destruktive Potential unseres Geistes auf ein Abstellgleis umleiten, damit wir die Lust an unserer Verderblichkeit so lang wie möglich auskosten können.

Wenn wir nur noch an einer Sache hängen, werten wir die Sache mit Inbrunst auf, damit unser Festklammern nicht so lächerlich wirkt. ("Es ist meine Bestimmung, Schriftsteller zu werden! Es ist meine Bestimmung, mich hier in ein Tier zu verwandeln!", und so weiter...)

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Billiger Kaffee, warm und bitter, leuchtet mir den Weg durch die Nacht, wie eine Kalaschnikow mit angeschraubter Lampe. Meine kaltblütige Liebe krampft alle Poesie in den Widerstand gegen die Möglichkeit. Zerrissene Gefühle definieren die Kluft zwischen Abstumpfung und Besessenheit. Hysterische Ambivalenz. Aufschlussreiches Zyankali, erlösende Peitschenhiebe.

Das Glück, geboren worden zu sein, erfüllt mich mit einer Scham, die kein Gott mir nehmen könnte.

Gefangen in meiner Materie verfüge ich nur über den Sinnestaumel oder das Nichts, sonst ist alles durchgekaut.

So wie ein Kind in der Nase bohrt und einen Popel isst, so verschwende ich mein Leben: der gleiche Eifer, die gleiche Neugier, der gleiche Gesichtsausdruck.

Der Gedanke, mein Leben einer höheren Idee zu widmen, kommt mir genau so absurd vor wie der Gedanke, meine sterblichen Überreste dem Bundespräsidenten zu vermachen.

Der Sinn des Lebens aus Sicht des weißen Kaninchens, dass ich seit Jahren verfolge: "Hahahahahaha lebensmüde werden".

Jeder Mut ist Anmaßung. Es steht nicht fest, wie ich sterben werde. Diese Gewissheit baumelt wie ein Damokles-Schwer über meiner Unausgeglichenheit arabica. Meine Augen starren Phantasie und Wirklichkeit durchbohrend ins Nichts.

Da ist ein Loch in meinem Leben. Es dehnt sich langsam in meinem ganzen Körper aus. Es will mein ganzes Leben ausfüllen. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir nicht stimmt. Jeden Tag verliere ich mehr von mir. Auf der Suche nach Substanz stürze ich immer tiefer. Nichts steht in Verbindung mit mir.

Die Zeit und ich zerdrücken uns gegenseitig die Kehle. Keinem Gedanken glauben wollend das Gehirn vergiften. Die Kälte meiner Füße ist das Zentrum der Welt. Anstatt ich das Haus anzünde, wackel ich auf meinem unbequemen Stuhl sachte hin und her. Ich kann nicht mehr aufhören: ich bin ans Ende der Zeit gekettet.

Mein Bewusstsein beschränkt sich einzig auf die Tatsache, dass ich nicht schlafe, dass ich jetzt gerade wach bin, dass ich ein Teil dieser Stadt bin und einfach nur wach bin. Ich bin zu wach, um mehr bekennen zu können. Ich habe Wäsche gewaschen und Schönberg gehört, aber das ist weit weg, es hat nichts mehr mit mir zu tun, nichts was ich jemals getan habe, hat einen Einfluss auf mein gegenwärtiges Ich. Ich bin einfach nur wach.

Ich habe vor einigen Jahren meinen roten Faden verloren. Wenn ihn jemand wiederfindet, kann ich nur noch versuchen, mich damit zu strangulieren und falls du mich aufhalten solltest, würde ich dich nur hilflos anstarren.

Ein Lüstling und ein Wüstling sitzen hinter meinem Gesicht, auf einem Pilz, der surrend und immer süßer werdend meinen Körper in immer höher werdenden Dosen mit Anhedonie versorgt.

Ich verachte die Menschen dafür, dass sie genau so wenig Lust zu sterben haben wie ich. Ich teile mein Bett nur mit Leuten, die nicht sonderlich am Leben hängen.

Alles dreht sich um mich, mein Elend ist das Maß aller Dinge. (So kommt man nur weiter, wenn man Freunde hat, die genau so pervers sind wie man selbst. Wenn ihr mich kennen würdet, wärt ihr vielleicht froh, dass ich so wenig Zuspruch von meinem sozialen Umfeld bekomme.)

Ich habe Freunde, die derart berechtigt verzweifelt sind, dass ich ihnen niemals Sprüche wie "Schau nach vorn" oder "Glaub an dich" um die Ohren hauen würde; viel eher würde ich ihnen sagen: "Schau bloß nicht nach vorn!" oder "Glaub bloß nicht an dich!".

Manisch-müde werden wir über die letzte Hoffnung triumphieren.

Steht meine Müdigkeit meinem Ausdruck im Weg oder mein Ausdruck meiner Müdigkeit?

Ohne zu reden und zu schreiben könnte ich mich nicht ernstnehmen. Ohne Worte ist alles tief und lachhaft zugleich. Der Mensch wird nicht von bestimmten Tatsachen deprimiert, sondern von bestimmten Lauten und Buchstaben.

Ein Ich ist nötig, damit der Körper die Ambivalenz seiner Triebe ertragen kann. - Der Wille authentisch zu sein ist der Schalk in meinem Nacken, ich würde ihn gern abschütteln, aber das wäre auch nicht authentisch.

Ich habe diese Nacht überlebt! Bin ich jetzt stabiler oder instabiler als gestern Abend?

Alles verändert sich fortwährend und ist nicht zu fassen - und wenn du dich auf nichts verlässt, wenn du an allem zweifelst, wenn du dir keine Regeln gibst, wenn dir alles zu jeder Sekunde anders erscheint, wenn dir zu jeder Sekunde alles egal ist, dann schaust du als Wahrheit in die Wahrheit und das Kaninchen singt:
deine hoffnung stellt dir ein bein,
deine entscheidungen fallen,
jesus sitzt auf der wolke
und nagelt einen engel, der aussieht wie ein affe,
der so eng ist wie du und
der bürgermeister schneidet ihm ein auge aus,
weil auf der wolke parkverbot ist
und wichst in einen mülleimer
um flaschensammler zu überraschen.