Lob der Schreibblockade

Seit sieben Monaten insomnisch, seit sieben Monaten im kalten Fieber weißer Nächte, kaum mehr als zwei Stunden Schlaf, selbst wenn ich mich dazu durchringe, mehrere Tage keinen Kaffee oder Matetee zu trinken, kaum mehr als ein paar Stunden Schlaf, im weißen Fieber greller, ereignisloser Nächte, herumlungernd in stehengebliebener Zeit, unfähig mir angenehme Gedanken über die Zukunft zu machen, kein Gespräch kann mir genug Ruhe und Dunkelheit, kein Gesicht genügend Vertrauen spenden.
Auf sich alleingestellt, weil grenzenlos misstrauisch und untätig, weil grenzenlos überfordert, verwandelt sich der Schlaflose in ein Biest, das - scheinbar um sich zu verteidigen - ständig gegen die Windmühlen der zu Schlaf befähigten Menschen kämpft, und zwar so lustlos, dass er während eines kalendarischen Jahres fünf biologische Jahre durchmacht. - In diesem Zustand zur Arbeit? In diesem Zustand mit Freunden kegeln gehen? In diesem Zustand an meinem Buch schreiben? 

1

Es wäre uns sehr, sehr viel abscheuliche Literatur erspart geblieben, wenn sich ihre Erzeuger nicht durch ihre Schreibblockaden gezwungen hätten.

Eine Schreibblockade stellt sich naturgemäß ein, wenn man nichts mehr sagen kann, weil die Fülle dessen, was man noch sagen könnte, nichts mit dem augenblicklichen Stumpfsinn zu tun hat, den man nicht ausdrücken kann, ohne sich lächerlich zu machen. Die Schreibblockade schützt vor Lächerlichkeiten und Anmaßungen aller Art.

Ein leuchtender Lächerlicher sitzt auf dem Dach seiner Bruchbude und stammelt: "Alles drückt nur noch und dieses Drücken ist das einzige Selbstgefühl, das ich leisten kann und im Grunde alles, was ich noch zu erzählen habe. Vielleicht habe ich nun, unfähig über etwas anderes zu schreiben als über meine Unfähigkeit, etwas anderes zu tun als diese Schreibblockade aufzupumpen mit Worten die nicht mir gehören - das höchste Maß an Authentizität erreicht, das ein Mensch erreichen kann."

Ich bin so fest mit diesem Buch verbunden wie mein Bewusstsein mit meinem Gehirn. Ich sitze unbequem und kann daran nichts ändern, die Musik ist öde, aber ich kann sie nicht ändern, mir ist schwindlig, mir ist fast wie kotzen zumute, die Luft hier ist schlecht, das Licht nervt mich, flackert es oder zuckt mein Augenlid? Mein ganzes Leben ist ein fürchterlich zusammengekrampfter, affektierter Murks. Mein Ich ist nur das willkürliche Produkt von albernen Wiederholungen, mit denen niemand sich identifizieren sollte, denk ich mir.

Allem überdrüssig, finde ich die Klarheit und Festigkeit sämtlicher Kunstwerke frech, anmaßend, so als würden sie sich lächerlich über mich machen.

2

Alle Worte, die ich für meinen Bericht aus dem Grenzbereich der Schlaflosigkeit benutzen kann, setzen das, was ich sagen will und das was ich sagen kann, in eine Beziehung, die es mir erschwert, genau die Aufrichtigkeit zu zeigen, die ich mir aus Mangel an Alternativen verschrieben habe; als drückte man auf den Schleudersitz-Knopf, während man in einer Sackgasse steckt und nichts mehr beurteilen kann.

Alles was ich als Schriftsteller kann, ist von einer Schreibkrise in die nächste zu fliehen, bevor meine Worte mich nötigen, vom Weg der Gerechten abzukommen.

Alles, was ich schreibe, entspringt der Unfähigkeit, bestimmte Prominente zu erschießen, sowie meiner Angst, bloß ein Hochstapler zu sein, der nichtmal John Lennon hätte ermorden können.

Es gibt Sätze, die will man umarmen, es gibt Sätze von denen will man umarmt werden. Solche Sätze sind die erste und letzte Rechtfertigung dafür, mittelmäßige Bücher zu lesen.

Da sitzt du und weißt nicht, ob du weiter weißt. Glaubst du eigentlich, du bist gerade nur das Produkt des Autors? Der Autor dieses Buches ist nur ein Bohrer, der dir ein Loch schenken will. Wenn du dir den Bohrer anschaust, kannst du auch den Willen zum Loch ahnen. Also sieh mich ruhig an. Es ist gerade Juli des Jahres 2013. Ich bin sehr euphorisiert von Damiana-Tee.

Mein Gehirn erbricht Gefühle, Gedanken, Worte, Wahrheiten, die nirgends kleben bleiben wollen. Sie bilden eine traurige Pfütze.

Alles muss durch den Häcksler! Erst wenn alles keinen Sinn mehr ergibt und alle Grenzen des Geschmacks zerstört sind, kann die Zivilisation aufatmen und alles neu verhandeln.

Ich bin zu wach, als dass ich mich auf meine Karriere als Schriftsteller konzentrieren könnte. Jeder Satz in meinem Kopf scheint mir derart banal, dass ich mich frage, ob ich jemals das Recht erlangen werde, aus dieser Sackgasse herauszukommen.

3

Alle natürlichen Regungen werden unterdrückt von einem Panzer der Gewohnheit. Man erlaubt nur denen, die ihn nicht sprengen können, ihn zu sprengen.

Die Idee eines festen Selbst hält das Tier in Zaum, solang bis die Idee selbst zum Tier wird. Wenn der Mensch nicht mehr an seiner Menschlichkeit hängt, nicht mehr von ihr abhängig ist (da er nicht mehr mit anderen Menschen Umgang pflegen muss), gewinnt seine animalische Natur eine unheilvolle Präsenz. Im Hintergrund dieser Überlegungen schimmert die Vorstellung, dass mir meine Mutter entsetzt eine Ohrfeige verpasst und mich in mein Zimmer sperrt. "Es reicht!", brüllt sie und etwas in mir fühlt sich entsetzlich schwach, ich bin kaputt und niemand wird mich reparieren können, ich bin krank und werde niemals jemanden küssen, den ich liebe. - Ich glaube, ein Massenmord würde mich genau so verderben wie die Unterdrückung der Lust einen zu begehen.

Schwarzer Kaffee macht schwarze Gedanken. Das Rauschen des Laptops bohrt mir ein Loch in die Stirn, Soldaten hissen auf einem Leichenberg eine Flagge, wieder sind hunderte Menschen aus Afrika im Mittelmeer ertrunken, weil sie sich bei uns ein schönes Leben machen wollten. Ich will mir irgendetwas abpflücken von der Zimmerdecke, aber da ist nicht mehr als eine Glühbirne, die nicht im Wind hin- und herbaumelt, sondern gerade herunterhängt wie ein Penis, der aufgegeben hat, sich die Schuld für die permanente Abwesenheit von Vaginas zu geben. Das Leben ist ein alter Dampfer, auf dem man Glücksspiele spielt, um sich davon abzulenken, dass man dem Wasserfall entgegenrast. Indem ich nicht das Haus verlasse und mich jeder Beschäftigung verweige, wirke ich dem Alterungsprozess meines Körpers entgegen. Über wieviel Atemzüge verfüge ich noch?

„Es muss noch mehr geben!“, spricht die Eitelkeit, sucht meinem Körper ein Alibi: und hier bin ich: der Schriftsteller vor dem Fleisch, vor den Knochen, vor der Ego-Perspektive. Ich sehe, wie ich etwas darstellen will, wie ich als Elektriker meiner Nervenbahnen die Außenwelt gestalten will, die Gesellschaft, die das Zwischenergebnis eines immerwährenden Prozesses menschlichen Kommunizierens und Kräftemessens ist.

Ich versteh nicht, warum mich immer noch Leute besuchen; es sind keine Freunde, wir haben nichts voneinander, bringen es aber fertig, ein paar Stunden auf meinem Balkon zu sitzen und die rauschenden Bäume und den hellgrauen Himmel und die schwarzen Vögel zu betrachten und etwa alle fünf bis zehn Minuten sagt einer irgendeine Banalität oder einen sinnlosen Halbsatz. Wir schauen uns kaum an. Ich glaube, es kommt bald wieder jemand vorbei. Sebastian wollte mir ein altes Klavier vorbeibringen, das er auf dem Dachboden seiner Mutter gefunden hat. Ich mag es, mich in falsche Akkorde hineinzusteigern, in dissonanter Trance Halt zu suchen, denn an guten Tagen finde ich ihn.

Lang nichts mehr gegessen, hab noch einen sehr faden Eintopf in der Küche, der darauf wartet, meinen Körper noch ein bisschen gesünder zu machen. Meine Gesundheit ist ein Fluch: mein Körper ist zu allem bereit, aber ich will nicht am Tagesgeschäft teil haben. Mein Ich ist ein asketischer Parasit. Die Sehnsucht, mir in meiner Wohnung ein Loch auszuheben und darin einen Hund abzuschlachten, frisst wie ein süßer Tumor an meiner Depression und verwandelt allmählig mein staatlich allimentiertes Leben in ein freches Grinsen, das selbst den eifersüchtigsten, bösartigsten Gott hinreißen kann. Ich breite meine Arme aus und verfluche die Abwesenheit von Menschen, denen ich hysterisch an die Kehle springen würde wie ein Affe.

Mich töten oder jemand anderes, das ist nur eine Frage der Koffeinkonzentration im Gehirn. Ich möchte meinen Kopf solang schütteln, bis ich meine Wohnung nicht mehr wiedererkenne, bis Rauch aus meiner Wohnung tritt und ein Gespräch mit der grauen, bitteren Kälte der Straße anfängt. Jeder möchte sich irgendwie einbringen in dieses Leben.

Ich habe tiefe, dunkle Wurzeln in meiner Wohnung geschlagen. Ich bin mehr als diese Wohnung, diese Sackgasse, diese Stadt! Haltlos werdend muss all meine Realität auf ihre Kosten kommen: und ich werde noch mehr als der Sturz, mehr als die Geschlagenheit, mehr als der Verlust gewesen sein!
Die Ausdehnung des Himmelgrau ist messbar, die der Fassungslosigkeit nicht.

Ein Mensch der keine Bedeutung hat, bewirkt genau so wenig wie ein Mensch, der sich nicht äußert, wie ein Mensch, der gar nicht vorhanden ist. Man muss wirken, um Lust am Leben zu haben. Dem Einen reicht ein Kind, das er von sich abhängig machen und erziehen kann, der Andere möchte einen ganzen Staat unter seine Kontrolle bringen. Mir reicht es, vor den Augen aller Menschen dieser trostlosen Stadt meine Verwirrung zu feiern und Krach und Freude zu verbreiten. Jetzt, wo ich meine Eltern nicht mehr erreichen kann (das Erfurt-Syndrom hat all ihre Hoffnungen und all ihre Liebe ausradiert und mit einem bösen, wirklich bösen Brief an sie hab ich jede Chance auf ein entspanntes Verhältnis zu ihnen vernichtet), muss ich mich an alle Menschen wenden.

4

Wie kann ich mich bloß getraut haben, etwas zu sagen? Wie kann ich alles, was ich von mir weiß, so furchtbar ignoriert und mich so furchtbar weit aus dem Fenster gelehnt haben? Ich hab immer Lust jemanden zu umarmen, wenn ich das Wort Herz lese oder schreibe. Ich habe eine sexuelle Ausstrahlung, die niemand sieht, der nicht etwas von mir gelesen hat. Ich habe etwas mitzuteilen, aber muss notwendigerweise Mittel benutzen, die gegen meinen Geschmack sind. Wer bezahlt mich denn dafür, aufrichtig zu sein? Wer klopft mir auf die Schulter, wenn ich etwas schreibe, mit dem ich mich ganz fest identifizieren kann?

Aus Mangel an Zuversicht und Disziplin kann ich nur die Substanz verlieren, die mich auf einem bestimmten Kurs hält. Es kommt mir so falsch vor, etwas Bestimmtes zu tun; ein Gefühl ist wie ein Urteil, das ich respektiere, weil der Richter schöne Augen hat. Es kommt mir so falsch vor, Kaffee zu trinken. Jede Droge belügt den Körper. Ich stampfe wie ein dummes Kind um meinen zukünftigen Tod herum, ich wundere mich, wer dieses Loch gegraben hat, in das ich fallen werde, wenn mein Herz nicht mehr schlagen kann und hätte gern tropische Pflanzen in meiner Wohnung.

Warum die eigene Nichtsnutzigkeit nicht derart überladen, bis die Landesregierung daran zerbricht? - Ich pumpe fröhlich, ich pumpe überfröhlich, ich überpumpe überfröhlich überfröhlich.

Das Leben ist keine Belohnung und der Tod ist keine Bestrafung, aber warum ausgerechnet ich? Der Bürgermeister steht auf meiner Beerdigung, wischt sich eine Träne aus dem Auge (seine Frau hat ihm vorher Zitronensaft ins Auge gespritzt) und sagt mit süßlich-zitternder Stimme: "Er wurde wahnsinnig, weil er nicht ertragen konnte, kein Gott zu sein. Er wurde getötet von denen, die sich vor seinem Wahnsinn gefürchtet haben."

Ich trinke einen Schluck Wasser und nehme nicht den Hammer neben mir und haue damit nicht gegen die Wand. Die Nichtexistenz des Loches in der Wand könnte eine Art Todesurteil sein. Mich hätte nur die Nichtexistenz des Hammers freisprechen können, aber der Hammer ist da, er liegt direkt neben mir und es gibt Gründe ihn zu benutzen und Gründe ihn nicht zu benutzen. Wer bin ich? Ich bin ein sehr feiger Mensch. Mein Leben ist ein Karton, in dem ich sitze.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich gleich einen Herzinfark bekomme ist so groß wie meine Pupillen, die wie Tore einer Kathedrale sich öffnen und die Besucher hineinlassen. Es ist eine Kathedrale, in der Leute randalieren, herumficken und herumscheißen und Gift und Blut spucken können. Fotografieren ist aber verboten, denn dieser Ort ist dem heiligen Leben gewidmet. Ich bin nicht genial genug, um jetzt einen Herzinfarkt zu bekommen. Vielleicht habe ich irgendwann den Ehrgeiz, Menschen zu töten. Ich mag es, darüber nachzudenken. Es gibt wirklich unangenehmere Arten in dieser Stadt zu verschimmeln. Die Tatsache, dass ich die Möglichkeit habe, viele Menschen umzubringen, erfüllt mich mit einem absurden Stolz, ich kann ein dümmliches, aus Urtiefen hervorstoßendes Lachen nicht peinlich finden.

5

Die Angst erschreckt zu werden, läd jeden Gegenstand in meinem Zimmer mit einer unsinnigen Bedeutung auf. Je schneller das Herz schlägt, desto näher rücke ich dem Bewusstsein, dass es sinnlos schlägt.

Wie ein wütender Stier versinke ich in der Ambiente-Musik meiner Schlaflosigkeit. Jeder Gedanke ein Schmetterling in einem Einmachglas. Ich existiere wie alles andere, das existiert. Es ist ein unentrinnbares Nebeneinander. Alles ist beisammen und auf sich geworfen. Meine Übermüdigkeit vereinigt alle Dinge. Es gibt kein Warten, kein Gedanke an etwas Kommendes. - Ich puste und puste, bis das Licht am Ende des Tunnels ausgeht. -
Bereits 35 Stunden wach. Allein die Tatsache, dass mein Körper fähig ist, Dinge zu zerstören, hält mich beisammen. Alles ist egal, die sozialen Gefühle, die Behörden, das schmutzige Geschirr, die Bedürfnisse von irgendwelchen Leuten, die mich nicht riechen können. Ich hab einen Popel in der Nase und hol ihn mit meinem linken kleinen Finger heraus.
Die Metaphern flutschen aus meinen Händen, der Straßenlärm ist kalt, will mich krank machen, unter meinem Kissen schläft eine Fleischsäge. Meine Mutter erwartet meinen Anruf, sie will mich morgen sehen. Ich habe Lust, ihre Finger zu brechen oder vom Stuhl zu stoßen. Allein die Tatsache, dass ich noch in der Lage bin mich selbst zu töten, hält mich beisammen.

Mein Gesicht ist bleich, immun gegen jede Ausrede dafür, warum ich mir die Bürde meiner Existenz leisten will. Ich muss noch ein paar Wochen wachbleiben. Alle Vergleiche mit mir hinken, weil ich ihnen den rechten Fuß weggeschossen habe. Es ist absolut nicht nötig, die apokalyptischen Stimmungen im Herz ernst zu nehmen, während man in einer kalten, schlaflosen Nacht eingeklemmt ist und den Kaugummi seiner Biographie kaut. Es reicht, alles wahrnehmen, was vor die Linse kommt und zu frieren; ruhig auf der Glasscheibe liegen bleiben, unter der das Denken brummt, hoffend, dass die Scheibe hält.

Plötzliche Bauchschmerzen erscheinen mir sieben Mal realer als die Tatsache meiner Geburt und unzählige Male realer als meine Fähigkeit meine Einsamkeit zu überwinden. Ich werde nie wieder Musik hören. Ich werde mich nie wieder erwachsen fühlen. Ich werde niemals mit diesem Buch fertig. Ich werde mich niemals trauen, meine Schwester da zu berühren, wo sie nicht berührt werden will. Ich stell mir vor, wie mir jemand den Schädel einhaut. Ich werde niemals die Klinken all meiner Hintertüren putzen können. Ich schaffe es immer wieder, mit all den Sätzen, die ich nicht schreibe, die Literaturgeschichte aus den Angeln zu heben. Ich bin ein Emu und mit jedem meiner Flügelschläge erhöht sich der Schmerz, den der Gehirntumor meiner Mutter erzeugt, um sie vom Schlafen abzuhalten und die Bundesregierung hat einen furchtbaren Plan.